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Fotokritik

Timm Starl
Kommunistin, Fotografin, Exilantin

Ausstellung
„Edith Tudor-Hart. Im Schatten der Diktaturen“
Wien, Wien Museum: 26. September 2013 – 12. Januar 2014

Katalog
Edith Tudor-Hart
Im Schatten der Diktaturen
Hrsg. von Duncan Forbes
für die National Galleries of Scotland, Edinburgh und das Wien Museum
Mit Texten von Duncan Forbes, Anton Holzer und Roberta McGrath
Ausstellungskatalog Wien Museum
Ostfildern: Hatje Cantz, 2013
28,5 x 24,5 cm, 151 (+1) S., 127 Abb.
€ 24,- in der Ausstellung
€ 35,- im Buchhandel

Die Presseabteilung des Wien Museum schwelgt in Superlativen, spricht im ersten Satz ihrer Informationsblätter von „einer großen österreichischen Fotografin“ und erhebt sie im letzten zu „einer großen österreichischen Künstlerin“. Sie würde „erstmals einer breiten Öffentlichkeit [...] bekannt“ gemacht, und es erscheine „anlässlich der Ausstellung die erste umfassende Publikation“. Nun ist Edith Tudor-Hart 1973 gestorben und hat ab etwa Mitte der 1950er Jahre keine Fotos mehr veröffentlicht. Das Museum hat sich also ganz schön Zeit gelassen, um sich an sie zu erinnern.
           Vor allem wenn man bedenkt, dass 1986 in Deutschland und 1987 in England eine Monografie im Verlag von Dirk Nishen erschienen ist, in der über 110 Einzelaufnahmen aus der Kamera der Fotografin wiedergegeben sind. Der vorliegende Katalog präsentiert etwa gleichviele Abbildungen, wenn man die Reproduktionen von Buchumschlägen und Seiten aus Zeitschriften dazurechnet. Sicherlich haben die beiden Veröffentlichungen aus den 1980er Jahren eine größere Verbreitung gefunden, als es der Katalog aus dem Wien Museum erwarten darf. Aber dies sei wohl ohne besondere Bedeutung, denn – so die Einschätzung von Duncan Forbes, einem der Autoren – in dem Buch würde „Tudor-Harts Fotografie [...] weniger als kritische Ressource präsentiert denn als eine Quelle der Empathie und Identifikation.“ (144)
           Diese Wertung trifft einigermaßen zu, und also widmen sich die Fotohistorikerin und die beiden Fotohistoriker nun umso eifriger dem politischen und kulturellen Umfeld, in dem die Protagonistin gelebt und gewirkt hat. Die sozialen Gegebenheiten im Wien um 1930 sowie jene in London ab den 1930er Jahren werden ebenso ausführlich dargestellt wie die Aktivitäten von Edith Suschitzky, wie sie vor ihrer Verheiratung hieß, für die Kommunistische Partei in Österreich und Großbritannien und die Beschäftigung mit der Montessori-Pädagogik. Nicht behandelt wird jedoch ihre jüdische Herkunft, vielmehr mit dem Hinweis abgetan, dass sie diese „Identität [...] selbst hartnäckig ignorierte“ (11), ohne anzugeben, worauf sich diese Zuschreibung stützt.

 

Edith Suschitzky: „Zigeuner, Monfalcone, Italien, Juni 1932“ (aus: Edith Tudor-Hart. Das Auge des Gewissens, [Berlin-]Kreuzberg: Dirk Nishen, 1986 [Das Foto-Taschenbuch 6]
Edith Suschitzky: „Zigeuner, Monfalcone, Italien, Juni 1932“ (aus: Edith Tudor-Hart. Das Auge
des Gewissens
, [Berlin-]Kreuzberg: Dirk Nishen, 1986 [Das Foto-Taschenbuch 6], S. 9)

 

            Auch werden die Aufnahmen von „Zigeuner[n]“ in Monfalcone aus dem Jahr 1932 nicht gezeigt, obwohl der „Schatten der Diktaturen“ doch auch Italien erfasst hat. Offenbar passten die lachenden Frauen und fröhlichen Kinder nicht ins Bild einer kritischen Fotografin, das gezeichnet werden sollte. Und vermutlich aus demselben Grund bleibt ihre Tätigkeit als Atelierfotografin in London, die konventionelle Porträts und Modeaufnahmen lieferte, ausgeklammert. Wobei  anzumerken ist, dass der Untertitel des Kataloges ohnehin verfehlt wirkt, zumal nicht recht klar ist, welche Diktatur für England, wohin Tudor-Hart 1934 emigriert ist, maßgebend war.
            Fotohistorisch ist ein solcher Verzicht auf Teile des Œuvres ebenso unerklärlich, wie die ungleichgewichtige Einordnung der Fotografin in die Wiener Szene der ausgehenden 1920er und beginnenden 30er Jahre verwundert. So werden ausführlich die avantgardistischen Tendenzen um die Ausstellung „Film und Foto“, die aus Deutschland kommend 1930 in Wien Station gemacht hat, angesprochen und 28 Amateure einzeln genannt, die „in der Zeit um 1930 der modernen Fotografie gegenüber aufgeschlossen waren“. (43) Doch der Aufwand ist unverhältnismäßig groß, denn von Edith Suschitzky kann eigentlich nur eine einzige Arbeit dem Neuen Sehen zugerechnet werden: eine steile Sicht nach unten aus einer Gondel des Wiener Riesenrads, entstanden 1931. Und Anton Holzer schränkt auch in dem mit Aufzählungen von bekannten Namen gespickten Kapitel dahingehend ein, dass „die gestalterischen Experimente der Avantgarde [...] für Suschitzky offenbar nicht mehr als eine formale Spielerei“ gewesen seien (43).

 

Edith Suschitzky: Riesenrad im Prater Wien, 1931 Edith Suschitzky: Riesenrad im Prater Wien, 1931, 29,3 x 29,2 cm, Neuer Silbergelatine-Abzug
© Scottish National Portrait Gallery / Archive presented by Wolfgang Suschitzky 2004

          

           Die Ausführungen zur österreichischen Arbeiterfotografiebewegung und den sozialkritischen Tendenzen ihrer Organe, in denen die Fotografin einige Aufnahmen und Berichte  veröffentlichte, fallen noch ausführlicher aus, obwohl sie „kein aktives Mitglied einer Wiener Arbeitsfotogruppe“ gewesen ist. (46) Zudem werden aus diesem Kreis zwar Redakteure, aber kein einziger Fotograf und keine Fotografin genannt, so dass der Eindruck entsteht, das Elend der Arbeitslosen, der in Hinterhöfen und Hüttensiedlungen darbenden Zeitgenossen, der Kriegsopfer und Straßenmusikanten seien allein von Edith Suschitzky bemerkt worden.
           Wenn auch niemand dermaßen konsequent solche Motive verfolgt hat, so sind doch eine Reihe von bekannten und weniger bekannten Kolleginnen und Kollegen gleichfalls auf die Wiener Straßen gegangen und haben Bettler, Obdachlose, Lumpensammler und andere Angehörige des Subproletariats bildlich festgehalten. Ich möchte nur Anna Schulz und Käthe Serog, Lothar Rübelt und Mario Wiberal nennen. Statt die Protagonistin als einzige herauszustellen und damit zu isolieren, wäre die Vorstellung von Bildern anderer Provenienz sinnvoll gewesen, um Vergleiche anstellen zu können. Denn nicht nur das gesellschaftliche Umfeld und die subjektive kritische Einstellung zu den herrschenden Verhältnissen beeinflusst, wie man den Erscheinungen gegenübertritt, sondern auch das Bildschaffen einer Epoche trägt dazu bei, auf welche Weise die Motive fotografisch umgesetzt werden.

 

Edith Suschitzky: Demonstration von Arbeitslosen, Wien, 1932 Edith Suschitzky: Demonstration von Arbeitslosen, Wien, 1932, 30,3 x 30 cm, Neuer Silbergelatine-Abzug © Scottish National Portrait Gallery / Archive presented by Wolfgang Suschitzky 2004

 

           Edith Suschitzky ist 1908 geboren und stammt aus einer jüdischen Familie der Wiener Mittelschicht. Die Eltern waren der Sozialdemokratie verbunden und betrieben ab 1904 eine Buchhandlung in einem Arbeiterbezirk, in dem kritische und linke, literarische und politische Verlagsprodukte angeboten wurden. Die Tochter wandte sich bereits früh der kommunistischen Bewegung zu und unterstützte sie auf nationaler und internationaler Ebene. Von 1929 an studierte sie am Bauhaus Dessau, wo sie wohl mit der Fotografie als künstlerisches Ausdrucksmittel in Berührung kam. Nach einer Verhaftung 1933 in Wien, heiratete sie den englischen Arzt Alexander Tudor-Hart und emigrierte mit ihm 1934 nach England. Dort fotografierte sie gleichfalls die Armut in den Arbeitervierteln sowie die erschöpften Bergleute in den Gruben von Süd Wales und veröffentlichte die Aufnahmen in der Presse. Nachdem sie als kommunistische Agentin beobachtet wurde, verlangten in den 1950er Jahren die britischen Behörden wegen Spionageverdachts, sie müsse ihre fotografischen Aktivitäten einstellen. Danach verdiente sie ihren Lebensunterhalt als Antiquitätenhändlerin.

 

Edith Tudor-Hart: Mädchen vor einer Bäckerei, London, um 1935 Edith Tudor-Hart: Mädchen vor einer Bäckerei, London, um 1935, 35,3 x 30 cm, Neuer Silbergelatine-Abzug © Scottish National Portrait Gallery / Archive presented by Wolfgang Suschitzky 2004

 

           Der wesentliche Mangel des Kataloges liegt darin, dass einige Aspekte im Schaffen der Fotografin nicht oder nicht ausreichend behandelt werden. Zudem wurde nicht einmal ein biografischer Abriss erarbeitet und auch keine Publikationsliste angefertigt, so dass die Leser sich die Daten aus den Beiträgen und Fußnoten zusammensuchen müssen. Statt dessen sind bereits vorliegende Texte teilweise aufgewärmt worden: Forbes’ Essay geht auf eine Veröffentlichung von 2005 zurück; Holzer bedient sich aus zwei eigenen Artikeln zur Avantgarde und der Arbeitsfotografie aus den letzten beiden Jahren.
           Dem gegenüber kann die Ausstellung durchaus gefallen. Die Exponate sind übersichtlich nach Themen arrangiert und diese mit eingängigen Zwischentexten eingeleitet. Den rund 30 Abzügen aus der Wiener Zeit, die um 1928 bis 1933 entstanden sind, stehen etwa 60 aus der Zeit des Aufenthalts in England gegenüber, die Tudor-Hart zwischen 1936 und 1951 angefertigt hat. Neben ihrem Scrapbook sind mehrere Zeitschriften und Bücher, welche Arbeiten von ihr enthalten oder sich mit ihrem Werk auseinandersetzen, ausgelegt. Die Publikationen der letzten Jahrzehnte belegen, dass es sich keinesfalls um eine „vergessene Fotografin“ handelt, wie eine Kolumne in der Wiener Zeitung von 2010 übertitelt worden ist. Nur vom Wien Museum ist sie erst jetzt entdeckt worden, und leider hat man sich damit begnügt, ein wenig anspruchsvolles Begleitbuch zur Ausstellung herauszugeben.

Erwähnte Literatur
Duncan Forbes, „Politics, Photography and Exile in the Life of Edith Tudor-Hart /1908–1973)“, in: Arts in Exile in Britain 1933–1945: Politics and Cultural Identity, Vol. 6: The Yearbook of the Research Centre for German und Austrian Exile Studies, ed. by Shulamith Behr and Marian Malet, Amsterdam, New York 2005, S. 45-87.
Anton Holzer, „Avantgarde und gemässigte Moderne. Fotografische Aufbrüche in Österreich um 1930“, in:  Fotogeschichte, Heft 123, 2012, S. 51-60.
Anton Holzer, „Eine vergessene Fotografin“, in: Wiener Zeitung, 10./11. Juli 2010, extra, S. 11.
Anton Holzer, „Vorwärts! Die österreichische Arbeiterfotografie der Zwischenkriegszeit“, in: Fotogeschichte, Heft 127, 2013, S. 17-30.
Edith Tudor-Hart. Das Auge des Gewissens, Mit einem Text von Wolf Suschitzky, [Berlin-]Kreuzberg: Dirk Nishen, 1986 (Das Foto-Taschenbuch 6).
Wien Museum, Presseinformation, September 2013.

Oktober 2013

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© Timm Starl 2013

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