Fotokritik |
Timm Starl
„Ein Bild von unbeschreiblicher Schönheit und Größe“
Günter Karl Bose
big zep
300 anonyme Fotos von Zeppelinen 1924–1939
Leipzig: Institut für Buchkunst, 2013
(archiv #2)
30 x 23,7 cm, 101 (+1) S., 313 Abb. in Farbe
Gebunden
€ 29,-
Nach der Einschätzung des Kunsthistorikers Karl Clausberg waren „Darstellungen der Zeppelin-Geschichte im wesentlichen zwei Rubriken zuzurechnen: der mehr oder minder biographisch angereicherten Technikgeschichte einerseits und andererseits jener personenzentrierten Literaturgattung, die Kampf, Sieg, Leiden, Scheitern etc. großer Persönlichkeiten beschreibt.“ Dagegen setzte er seine eigene Veröffentlichung von 1979, die man gut und gerne als ersten kulturkritischen Beitrag zum Thema bezeichnen kann. Als Anschauungsmaterial sind dem Band „223 Dokumentar-Photographien“ beigegeben, die vorwiegend von professionell arbeitenden Lichtbildnern und für die Veröffentlichung in der Presse oder im Auftrag der Friedrichshafener Zeppelin-Werke angefertigt worden sind.
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Als Ergänzung zur öffentlichen Sicht auf die Luftschiffe und deren Produktion mag man die Zusammenstellung von Karl Günter Bose ansehen, der in dem vorliegenden Band nahezu ausschließlich Fotos anonymer Provenienz versammelt. Sie stammen in der Regel von Knipsern, also jenen Fotografen, die sich ein eigenes Bild von ihrer Begegnung mit dem Zeppelin machen wollten. War ein Vorbeiflug oder eine Landung eines Luftschiffes angesagt, so griffen zahlreiche Amateure zur Kamera, um das Ereignis festzuhalten. „Fotos vom Zeppelin [...] fehlen in nur wenigen Alben.“ (77)
Welche Bedeutung diesen Schnappschüssen beigemessen worden ist, zeigt die große Zahl sogenannter ‘misslungener’ Aufnahmen, die gleichwohl in den Familienalben aufbewahrt wurden. Oftmals verdecken Baumkronen, Hausdächer oder die Hand eines winkenden Zuschauers Teile des vorbeifliegenden Luftschiffes; manche Fahrzeuge sind bloß als dicker Strich am Himmel auszumachen, der Kabine, Motoren und Leitwerk nicht mehr erkennen lässt; vereinzelt sind Bilder unscharf geraten, wurden Abzüge schlecht ausgearbeitet oder sind fleckig. Was faszinierte die Zeitgenossen dermaßen, dass jede Aufnahme, die bestätigte, den Zeppelin mit eigenen Augen gesehen zu haben, als erinnerungswürdig eingestuft wurde? Waren es ästhetische Empfindungen, wie sie einen Augenzeugen von 1909 ausrufen ließen, der Anblick des LZ 4 über München biete ein „Bild von unbeschreiblicher Schönheit und Größe“? (80) Waren es die Ausmaße des LZ 126 mit 200 Meter Länge und 27,6 Meter Durchmesser, das 1924 den Atlantik von Deutschland in die USA überquerte und dem US-amerikanische Zeitungen nach der Landung den bündigen Namen „BIG ZEP“ (78) verliehen? War es die aviatorische Leistung, auf Grund derer die Besatzung in New York mit einer Konfettiparade begrüßt wurde? |
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Für die Begeisterung der Deutschen führt Bose ein nationalistisches Motiv ins Feld, kündeten die Zeppelin-Luftschiffe doch von deutschem Erfindungsgeist, technischem Wissen und Beherrschung der Natur. So warb 1924 die „Deutsche Nationale Volkspartei mit Bildern des Zeppelin ZR III“ (81), und “[d]rei Tage und Nächte, vom 26. bis 29. März 1936, überflogen die beiden Luftschiffe Hindenburg und Graf Zeppelin mehr als 120 deutsche Ortschaften und Städte, um für die Wahl Adolf Hitlers und der nationalsozialistischen Einheitsliste bei der auf den 29. März angesetzten Reichstagswahl zu werben.“ (82) Auch in die Höhen der dichterischen Künste fanden Luftschiffe Eingang, animierten sie bereits nach der Jahrhundertwende Figuren wie Otto Julius Bierbaum und Richard Dehmel zu lyrischen Exkursen, wie Clausberg eruiert hat. „Kein zweites Artefakt erfuhr im 20. Jahrhundert eine ähnliche symbolische Aufladung wie das Zeppelin-Luftschiff“, befindet Bose (80). Wobei er auf die phallische Symbolbildung, die bereits Freud in seiner Traumdeutung angesprochen und dabei ausdrücklich auf die Zeppeline abgehoben hat, nicht eingeht.
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Doch die Erscheinung der in den Lüften vorbeigleitenden Flugapparate sprach auf noch ganz andere Weise die Sinne an. Die „Stromlinienform [...] visualisiert eine gleichförmige Bewegung [...] Insofern eignet ihr bei aller Dynamik etwas Ausgeglichenes und Unaggressives.“ Mit ihrer nicht allzu hohen Geschwindigkeit von etwa 125 Stundenkilometern scheinen die Luftschiffe – insbesondere bei entsprechender Entfernung – mehr schwebend zu verharren als fliegend voranzukommen. Ihre Ansicht im Realen deutet bereits auf die fotografische Wiedergabe, in der Zeit und Bewegung aufgehoben sind und alle bewegten Gegenstände in eine Art Schwebezustand versetzt werden. Zugleich scheint der Flugkörper des Zeppelins aus dem Bild zu drängen oder – bei frontaler Sicht – gar den Rahmen zu sprengen. Insofern kann man in den Beispielen mit angeschnittenen Luftschiffen auch den Affront einer gigantischen Apparatur gegen seine mediale Verkleinerung, den Widerstand einer länglich-ovalen Form gegen den stereotypen rechteckigen Einschluss sehen.
Dem kurzen Essay des Autors folgen Hinweise zur Literatur und zu Ton-Dokumenten sowie eine Auflistung der technischen Daten zu den Luftschiffen LZ 126 von 1923/24 über LZ 127 und LZ 129 bis LZ 130 von 1936/38. Danach sind die 63 Fahrten der LZ 129 Hindenburg und die 30 Fahrten der LZ 130 Graf Zeppelin II angeführt. Das ebenso einfühlsame wie nüchterne Layout bestätigt ein weiteres Mal, dass aus dem Institut für Buchkunst immer wieder schöne Bücher kommen.
Bei den Abbildungen handelt es sich um Wiedergaben aus der besprochenen Veröffentlichung; Angaben zu den Autoren, den Orten und zum Datum der Aufnahmen sind nicht verzeichnet.
Ewähnte Literatur
Karl Clausberg, Zeppelin. Die Geschichte eines unwahrscheinlichen Erfolges [1979], Mit 223 Dokumentar-Photographien, München: Weltbild-Verlag, 1990, S. 10, vgl. S. 148 f.
Sigmund Freud, Die Traumdeutung [1900]. Studienausgabe, Bd. 2, Frankfurt am Main: S. Fischer, 1972, vgl. S. 345-357.
Stromlinienform. Streamline. Aérodynamisme. Aerodinamismo, hrsg. von Claude Lichtenstein und Franz Engler, Ausstellungskatalog Museum für Gestaltung Zürich, Baden: Lars Müller, 1992, S. 9.
August 2013
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© Timm Starl 2013
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