Fotokritik |
Timm Starl
„Wolken sind immer irgendwie wie“
Ausstellung
„Wolken. Welt des Flüchtigen“
Wien, Leopold Museum: 22. März – 1. Juli 2013
Katalog
Wolken
Welt des Flüchtigen
Hrsg. von Tobias G. Natter und Franz Smola
Ostfildern: Hatje Cantz, 2013
28 x 23,4 cm, 368 S., 323 Abb. in Farbe
Broschiert
€ 29,90 Museumsausgabe
Gebunden, Schutzumschlag
€ 39,90 Buchhandelsausgabe
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William Turner: Margate [?] vom Meer, um 1835/40, Öl auf Leinwand, 90,2 x 120,7 cm (The National Gallery, London) |
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Der schöne Satz des österreichischen Schriftstellers Franzobel, den er an den Anfang seines Katalogtextes gestellt hat (82) und mit dem ich meine Ausführungen überschreibe, zielt ebenso auf das Unbestimmte einer vorübergehenden Erscheinung wie auf ihre gängige metaphorische Vereinnahmung. Mit ihrer Flüchtigkeit sind die Wolken schwer zu fassen und ähneln dem Augenblick, der – kaum dass man sich ihm zuwendet – bereits der Vergangenheit angehört. Keine der Künste wird ihnen angemessen Herr, jedenfalls jene nicht, die unbewegte Bilder hervorbringen: Malerei, Zeichnung, Grafik, Fotografie. Sie alle inszenieren einen Stillstand, den ihr Gegenstand nicht kennt. Die unbewegte Wolke ist eine Erfindung von Künstlern und Künstlerinnen, sie zeigt nicht sie selbst, sondern etwas, das es so niemals gegeben hat. Entsprechend können die Wolken als Metaphern für alles und jedes in Anspruch genommen werden: für das Vergängliche, den Zufall, den Hintergrund, die Unendlichkeit ... Es hängt lediglich davon ab, in welchem Zusammenhang, in welcher Umgebung sie aufgetan worden sind. |
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Claude Monet: Der Bahnhof Saint-Lazare, 1877, Öl auf Leinwand, 54,3 x 73,6 cm (The National Gallery, London) |
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Es sind aber immer wieder Künstler und Fotografen angetreten, die Wolken isoliert dargestellt haben, für sich stehend, ohne einen Horizont oder andere Gegenstände im Bild. Der romantische englische Maler John Constable hat es in den 1820er Jahren getan, der malende österreichische Schriftsteller Adalbert Stifter um 1840 sowie der amerikanische Kunstfotograf Alfred Stieglitz von 1888 bis 1935, und nicht zuletzt folgten ihnen die Maler Gerhard Richter und Max Weiler in den 1970er Jahren. Eine solche, ihrer Umgebung enthobene Wolke ist wesentlicher Kriterien, die sie auszeichnen, verlustig gegangen. Ihre Größe ist wegen fehlender Bezugspunkte ebenso wenig abzuschätzen wie ihre Entfernung vom Erdboden. Und auch die Richtung, aus der sie gesehen worden ist, kann nicht nachvollzogen werden, denn der Blick kann sie aus jedem Winkel getroffen haben. Damit ist auch die Position des Künstlers unbestimmt geworden, und der Betrachter dieserart Bilder findet keinen Anhaltspunkt, der ihn eine Sichtweise nachverfolgen lässt. Sein Blick wird auf ihn zurückgeworfen.
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Anonym: Blick aus einem Doppeldecker über den Wolken, um 1920, braun getönter Silbergelatineabzug, 18x 24 cm (Privatbesitz) |
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Nun ist die Besonderheit solcher Wolkenbilder nichts vollkommen Neues, und es verwundert, dass sie an keiner Stelle angesprochen wird. Vielmehr werden diese Darstellungen in eine Reihe mit allen anderen Kreationen, die Wolken immer in Relation zu gleichzeitig auftretenden Erscheinungen setzen, gestellt. Herta Wolf geht noch weiter mit ihrer Geringschätzung von Alfred Stieglitz, der in etwa 45 Jahren rund 400 Wolkenaufnahmen gemacht hat, darunter immer wieder solche von isolierten Wolkengebilden, und über diese Studien eine Bestimmung des Fotografischen gesucht hat. Die Autorin verlässt am Ende ihres Beitrages sogar das gewählte Thema, das der Anwendung der Fotografie für die Meteorologie bis in die 1890er Jahre gewidmet ist, um die langjährige Übung des Fotografen „als eine dem Ausdruckswillen einer Künstlerpersönlichkeit gezollte subjektive Äußerung“ (53) abzutun. Für eine Autorin, die sich seit über zwei Jahrzehnten immer wieder mit Wolkenfotografie beschäftigt hat, wirkt es schon seltsam, dass ihr notwendig erscheint, die wissenschaftliche gegen die künstlerische Inanspruchnahme auszuspielen.
Die polemische Haltung Wolfs wäre nicht erwähnenswert, stünde sie nicht geradezu beispielhaft für ein Katalogbuch, das seinem Anspruch nicht gerecht wird. Wenn Tobias G. Natter, der Herausgeber und Direktor des Leopold Museums in Wien, einleitend betont, sein Haus biete „erstmals einen systematischen Überblick über Wolkendarstellungen der letzten zwei Jahrhunderte“ (8), so trifft dies in mancher Hinsicht für die Bildauswahl, nicht aber für die begleitenden Texte zu. Denn gegenüber den beiden wegweisenden Publikationen zum Thema, die Ausstellungen von 2004 in Hamburg und 2005 in Aarau begleitet haben, sind zwar ansatzweise andere Aspekte aufgetan worden. Aber insgesamt wird wenig Neues und Profundes, das nicht schon behandelt worden wäre, geliefert. Es äußern sich auch teilweise dieselben Autoren und Autorinnen, wozu auch Herta Wolf zählt, die in ihren zahlreichen einschlägigen Essays der letzten Zeit meist nur die Eingangspassage variiert, um bei immer denselben Wolkenfotografien und Erkenntnissen zu landen. Aus der Reihe der Aufsätze sticht angenehm der literarische Essay Franzobels hervor, der elegant und eloquent den Bogen von der „Tuchent der Frau Holle“ (83) zum World Wide Web als eine „fette, weltumspannende Wissenswolke“ (86) spannt, und sich am Ende nicht scheut, Wolken „manchmal auch sehr schön“ (89) zu finden.
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René Magritte: Sommer, 1931, Öl auf Leinwand, 60 x 73 cm (Musée d’Ixelles, Brüssel) |
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Der Katalog versammelt die meisten der 200 Exponate als Abbildungen und folgt in seinem Tafelteil den Kapiteln der Ausstellung. Leider hat man einem Dutzend Werken Gewalt angetan und sie über den Bund reproduziert, was bedeutet, dass manche Teile gar nicht und andere nur verzerrt zu sehen sind. (Mir scheint es kaum anders, als würde beim Abdruck eines Gedichts eine Zeile weggelassen.) Mit ihrer thematischen Reihung ermöglicht jedenfalls die Publikation gewissermaßen einen Gang durch die Schau, sieht man davon ab, dass eine Buchveröffentlichung andere Bildfolgen und Gegenüberstellungen verlangt. Auch kann sie nicht die Inszenierung der 115 Schallplattenhüllen mit Wolkenmotiven wiedergeben, die in Vitrinen ausgelegt sind. Diese ziehen sich durch nahezu alle Räume und sind jeweils in Zickzackform angeordnet. Damit wurde der Monotonie ausgewichen, die eine gemeinsame Anbringung an einer Ausstellungswand mit sich gebracht hätte. Zudem liefern die Schaukästen einen Faden, der die Kapitel, deren Ausrichtung oft abrupte inhaltliche oder stilistische Wechsel zeitigt, auf besondere Weise verbindet. Nicht zuletzt gestalten sie die großflächigen und hohen Räume etwas intimer, und der Besucher mag sich mit diesen Zeugnissen der letzten 50 Jahre in ein Jetzt versetzt fühlen, von dem aus er in die Fülle und Weite der historischen Hervorbringungen blickt.
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Ausstellungsinstallation „Wolkenband“, Leopold Museum, Wien, 2013 |
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Am Anfang steht „Die ‘Erfindung’ der Wolken“ mit ihrer Benennung und Klassifizierung um die Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert und den bildlichen Aufzeichnungen der Künstler der Romantik wie Constable, William Turner, Caspar David Friedrich und anderer. Anschließend eröffnet unter dem Titel „Lichtbilder“ die Fotografie mit den Montagen eines Gustave Le Gray aus den 1850er Jahren, den Studien von Roger Fenton aus demselben Jahrzehnt bis hin zu den wissenschaftlichen Erkundungen der Meteorologen um 1900 und den Landschaften der Piktorialisten der Jahrhundertwende mit ihren opulenten Wolkenformationen ein neues Terrain. Entsprechend deren Orientierung an der Malerei folgt passend „Der Himmel der Impressionisten“, wie ihn Claude Monet, Alfred Sisley und Paul Cézanne aufgefasst haben. Ferdinand Hodlers, Koloman Mosers, Emil Orliks Arbeiten sowie die Arbeiten weiterer Autoren werden unter „Wolken als Ornament“ vorgestellt. „Aufsteigendes Gewitter“ haben Fotografen wie Maler beobachtet, darunter Hans Watzek und Gustav Klimt, desgleichen die Sicht „Über den Wolken“ mit Aufnahmen und Gemälden der 1910er bis zu den 40er Jahren und einem Selbstbildnis Rudolf Hausners von 1969. Die „Metamorphose der Wolken“ vollzieht sich unter anderem in den Bildern von René Magritte und den Fotomontagen von Herbert Bayer aus den 1930er Jahren. Ab den 1920er Jahren werden „Industriewolken“ festgehalten, die der Rauch aus den Schloten der Fabriken formt. „Ungeheure Schönheit“ lautet der Titel eines Abschnitts, der Vulkanausbrüche, Brände, Explosionen und Atompilze gemalt oder fotografiert zur Ansicht bringt.
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Andy Warhol: Silver Clouds, 1994, nach dem Original von 1966, mit Helium gefüllte Kunststofffolien, jeweils 81,3 x 121,9 x 38,1 cm (The Andy Warhol Museum, Pittsburgh) |
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In den letzten beiden Kapiteln sind Werke der Pop Art und Konzeptkunst präsentiert: Gemälde, Installationen, Videofilme und die „Silver Clouds“ von Andy Warhol aus dem Jahr 1966 in einer Neuanfertigung von 1994. Diese mit Helium gefüllten metallisierten Kunststofffolien in der Größe von jeweils rund 80 x 120 x 40 cm schweben in einem eigenen Raum, dürfen berührt werden, streifen den Kopf und sind ständig in Bewegung. Es ist ein gut gewählter Schluss, der noch einmal einige Charakteristika von Wolken aufleben lässt: das Schwebende, Zufällige, das sich von allen Seiten zeigt. Man verlässt eine sehenswerte Ausstellung, der man eine weitreichendere textliche Begleitung gewünscht hätte.
Erwähnte Literatur
Wolkenbilder. Die Entdeckung des Himmels, Bärbel Hedinger, Inés Richter-Musso und Ortrud Westheider (Hrsg.), Ausstellungskatalog Altonaer Museum, München: Hirmer, 2004
Wolkenbilder. Die Erfindung des Himmels, hrsg. von Stephan Kunz, Johannes Stückelberger, Beat Wismer, Ausstellungkatalog Aargauer Kunsthaus, München: Hirmer, 2005 März 2013
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© Timm Starl 2013
PDF - 386kb
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