Fotokritik |
Timm Starl
Was ist?
Sebastian Egenhofer, Inge Hinterwaldner, Christian Spies (Hrsg.)
Was ist ein Bild?
Antworten in Bildern
Gottfried Boehm zum 70. Geburtstag
München: Wilhelm Fink, 2012
25,6 x 18,6 cm, 383 S., 127 Abbildungen in SW und Farbe
Gebunden, Schutzumschlag
€ 69,-
Gottfried Boehms Frage „Was ist ein Bild?“ wurde 1994 in einer Anthologie von 16 Autoren behandelt, wobei fünf von ihnen keine Abbildung für ihre Erörterungen benötigten. Bei der vorliegenden Publikation sind von den Herausgebern 89 Personen gefragt worden, von denen jede zumindest ein Bild als Exemplum einbeziehen sollte. 13 Personen benötigten mehr als ein Beispiel. Von den 127 Abbildungen resultieren 23 aus Filmstills, die jeweils als gesondertes, unbewegtes Bild nur sichtbar werden, wenn das Medium auf eine einzelne Aufnahme reduziert, demnach sein Eigentliches verleugnet wird. Oder sofern zwei Stills herangezogen werden, soll auch darauf abgehoben werden, dass ein Film aus Fotosequenzen besteht. Doch wie auch immer: Wer ein Still aus einem Filmstreifen oder einem Video wählt, hat nach einem Bild verlangt, das (in der Regel) niemand anderer vor ihm zu Gesicht bekommen hat. Er besteht auf Exklusivität und möchte das Wesen aller Bilder an einem einzigen referieren, das erstmals und nur ihm zur Verfügung gestanden ist.
16 Essays beziehen sich auf mehr als ein Bild, wobei jene drei inkludiert sind, die mit Bild-im-Bild-Darstellungen argumentieren. Was heißt, dass die Bestimmung eines Gegenstandes nur erfolgen kann, wenn er ins Verhältnis zu einem anderen – ob ähnlich oder nicht, innerhalb oder außerhalb desselben situiert – gesetzt wird. Was die Frage provoziert, ob es denn überhaupt möglich sei, eine Erscheinung nur aus sich selbst beziehungsweise in Bezug zu etwas zu bestimmen, das sie nicht ist. Eigentlich müssten noch all jene Aufnahmen dazugezählt werden, die Skulpturen und Installationen, eine Performance oder ein Gebäude wiedergeben, denn solche in den Focus genommenen Werke ergeben letztlich auch Bilder in Bildern. Doch die jeweiligen Autoren und Autorinnen meinen immer nur das Werk und nicht seine bildliche Inszenierung.
Zehn Beispiele sind Fotografien. Oder eigentlich: Es sind Wiedergaben von solchen, wie überhaupt sämtliche Abbildungen fotografische – ob analog oder digital hergestellt, sei hier übergangen – Reproduktionen von planen oder mehrdimensionalen Gegenständen, Personen oder Szenen darstellen. Was allerdings – sofern ich nichts übersehen habe – an keiner Stelle angesprochen wird. Obwohl doch die eine und der andere ihre Überlegungen nicht gegenüber dem originalen Werk im Museum oder während einer Vorführung oder bei anderer Gelegenheit angestellt haben werden, sondern angesichts einer fotografischen Aufzeichnung samt all ihren Differenzen gegenüber der Vorlage.
Zu fragen ist nicht zuletzt, welche Bilder denn nicht Berücksichtigung gefunden haben. Dazu gehören beispielsweise Plakate und andere Werbebilder, Spielkarten, Briefmarken und Knipseraufnahmen. Präsent sind dagegen eine Medaille, fünf Diagramme, je eine Partitur und ein musikalisches Schaubild, vier Skulpturen, ein Schriftbild und nur ein Bild, das die Sprache hervorbringt – vor allem aber zahlreiche Gemälde und Zeichnungen. Was letztlich bedeutet, dass nahezu ausschließlich künstlerische Hervorbringungen zum Anlass genommen worden sind, um die Frage nach dem Bild zu beantworten. Der enge Blickwinkel wird von Richard Hoppe-Sailer auf die gängige Praxis zurückgeführt: „Die Frage nach dem Status des Bildes in seinen unterschiedlichen Erscheinungsformen bestimmt die kunsthistorischen Debatten der vergangenen zwei Jahrzehnte.“ (169)
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G. Kutscher: „Löschblattzeichnungen“, 1928 (aus der besprochenen Veröffentlichung, S. 308) |
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Dieser Verweis offenbart unter anderem, welche Mühe die Kunstgeschichte hat, sich in eine Bildwissenschaft als Kulturwissenschaft einzureihen, soll heißen, ihr Instrumentarium zu erweitern und ihre Objekte nicht nur zu seinesgleichen aus dem Bereich der Kunstproduktion ins Verhältnis zu setzen. Einen geradezu symptomatischen Weg verfolgt Michael Diers, der Löschblätter mit Zeichnungen und Notizen eines 15jährigen Schülers von 1928 ausführlich beschreibt und als „Porträt der Epoche“, „gefügt aus den Bausteinen Großstadt, Verkehr, Werbung, Illustrierte, Spielzeug, Literatur und Politik“ (311) erkennt. Schließlich entdeckt er die Identität des Verfassers, der ein renommierter Altamerikanist werden sollte, und betont sein „zeichnerisches Talent“, das ihm für seine Dissertation, „eine ikonographische Studie über die figürlichen Vasenmalereien der frühen Chimu“ (311), nützlich geworden ist. So endet das Triviale eines Schüleralltags doch noch bei den Künsten, und der Ausflug zur Wirklichkeit der 1920er Jahre bleibt nicht mehr als eine Randbemerkung.
Am meisten gewundert hat mich an dieser Widmungschrift für jemanden, der neben William J.T. Mitchell zu den hervorragenden Exponenten der Bildwissenschaften gezählt werden muss, wie wenig deren Ansätze und Möglichkeiten Fuß gefasst haben. Nicht dass da und dort auch andere Disziplinen aufgerufen werden, aber vielfach sind es nicht deren Methoden, die angewendet werden, sondern man begnügt sich mit Zitaten, die kaum mehr als Fingerzeige abgeben. Auch hätte ich mir gewünscht, dass bei einem solchen Aufgebot an illustren Verfassern und Verfasserinnen mehr Bildmaterial herangezogen wird, das ohne das Etikett des Artefakts auskommt. Eine Antwort auf die dominante Frage war und ist ohnehin nicht zu erwarten, nicht einmal und erst recht nicht, wenn nur Bilder der Kunst aufgerufen werden, als wäre die Frage „Was ist Kunst?“ jemals zu beantworten. Gleichwohl ergibt die Vielstimmigkeit, mit der dem Problem nahegetreten wird, eine durchaus anregende Lektüre.
Erwähnte Literatur
Was ist ein Bild? Hrsg. von Gottfried Boehm, München: Wilhelm Fink, 1994 (Bild und Text)
Februar 2013
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© Timm Starl 2013
PDF - 124kb
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