Fotokritik |
Timm Starl
Bilder – Bücher – Lesen
Ausstellung
Ed Ruscha
„Reading Ed Ruscha“
Kunsthaus Bregenz, 7. Juli – 14. Oktober 2012
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Markus Tretter: Ed Ruscha, „Reading Ed Ruscha“, Ausstellungsansicht 1. OG, Kunsthaus Bregenz © Ed Ruscha, Kunsthaus Bregenz |
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Ein Haus voller Bücher: aufgeschlagene, zugeklappte; gemalte, fotografierte; alte Ausgaben, spätere Auflagen; liegende, schräg wiedergegebene, aufgestellte; in Leinen gebunden, mit silbervergoldetem Schnitt; im Original, auf Monitor – die allermeisten der etwa 120 Exponate sind dem Thema Buch gewidmet. Behandelt werden ebenso seine Materialität wie seine Darstellung, seine ikonischen wie seine archivalischen Qualitäten, die inhaltliche Ausrichtung mit Texten wie mit Bildern, seine Verwendung als Motiv oder als Aktionsfläche. Doch auch der gängige Gebrauch wird reflektiert: die Durchsicht, das Blättern, das Studium des Einbands, das Buchstabieren und Syllabieren der geprägten oder aufgedruckten Titel auf dem Buchrücken oder im Regal, die Unentschlossenheit vor einer Lektüre, das Lesen.
„Bücher gehören zu den wenigen Dingen, zu denen man eine tiefe Zuneigung faßt“, befindet Henry Miller 1952 im Rückblick auf sein „Leben mit Büchern“. Dieses Gefühl wird für den amerikanischen Maler, Grafiker, Fotografen und Filmemacher Edward Ruscha, Jahrgang 1937, dafür bestimmend gewesen sein, dass er sich seit einem halben Jahrhundert mit ihnen auseinandersetzt. Den Anfang haben Künstlerbücher gemacht, die in den 1960er Jahren entstanden sind. Das bekannteste zeigt ein Panorama: Every Building on the Sunset Strip, 1968 in Los Angeles erschienen und in der Ausstellung mit der zweiten Auflage von 1971 präsent. Es handelt sich um 54 zusammengeklebte Blätter, die als Leporello gefaltet sind. Die Gesamtlänge beträgt rund 7,60 m, in geschlossenem Zustand lauten die Maße 18,1 x 14,3 x 0,95 cm. Abgebildet sind die fotografischen Ansichten sämtlicher Häuser auf beiden Seiten des Sunset Boulevard zwischen Hollywood und Beverly Hills über eine Länge von etwa drei Kilometern. Die Bildstrecken der Häuserzeilen verlaufen am oberen und unteren Rand und sind gegeneinandergestellt, so dass bei der Betrachtung jeweils die gegenüberliegenden Gebäude auf dem Kopf stehen.
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Ed Ruscha: Every Building on the Sunset Strip, 1966
Künstler-Buch (Leporellofaltung) mit fotomechanischen Reproduktionen, Maße in ungeöffnetem Zustand 18,1 x 14,3 cm, Los Angeles County Museum of Art, Balch Library, Special Collections (M.87.252),
Foto Courtesy Museum Associates/LACMA © Ed Ruscha |
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Mit dieser Publikation greift der Künstler auf historische Darstellungsformen zurück und bringt zugleich später aufkommende Sichtweisen ins Spiel. Mitte des 19. Jahrhunderts wurde damit begonnen, Fotografien von topografischen Motiven auf bedruckte Leporellos zu kleben und Touristen anzubieten. Mit der sukzessiven Verfolgung der Häuser, die jeweils frontal gesehen werden, hat ein filmisches Moment Eingang gefunden. Serialität und Inszenierung sind wiederum Ausdruck eines konzeptuellen Denkens, wie es in den 1960er Jahren aufgekommen ist. Mit Every Building on the Sunset Strip ist bereits das breite Spektrum angedeutet, in dem sich Ed Ruscha in den folgenden Jahrzehnten bewegen wird, wenn er immer wieder Bücher malt, zeichnet, vor die Kamera bringt, als Objekte für Skulpturen verwendet.
So erscheint beispielsweise in einer Arbeit aus dem Jahr 2000 der Buchstabe S als Bleiche auf dem Stoffeinband eines Buches von 1895. Doch wird Geschichte niemals vorgetragen, sondern mitgedacht, was manchmal nur als Andeutung merkbar ist. Wie im gegebenen Fall verrät erst die Legende zum Exponat, dass es sich um eine alte Ausgabe handelt. Im Vordergrund stehen der Faktor Zeit und die Wirkung des Lichts, das sich in Bücher einschreibt, indem Teile des Einbands ausbleichen oder Ränder des Papiers bräunen. Eine dreiteiliges Werk mit Acryl auf Leinwand von 2011/12 in den Maßen von jeweils 315 x 183 cm gehört zu dieserart Betrachtungen: „Old Book Back Then“, „Old Book Today“, „Old Book With Warmholes“.
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Ed Ruscha: „Oh No“, 2011, 28 x 22 x 8 cm, handgestochenes Intaglio auf Buchschnitt, Foto: Paul Ruscha © Ed Ruscha |
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Selbstverständlich geht es bei Büchern immer und zuallererst um das Lesen, seien es Texte oder Bilder. Doch das Lesen lässt sich nicht darstellen, schon gar nicht in einem Einzelwerk, letztlich auch nicht in einem Medium mit bewegten Bildern. Lesen ist ein abstrakter Vorgang, der in jedem Menschen anders abläuft, andere Bilder provoziert, sich also nicht verallgemeinern lässt – analog dem Erinnern und dem Erfassen von Farben. Ruscha zerteilt gewissermaßen das Problem und erörtert in manchen seiner Arbeiten diverse Facetten des Lesens, indem unterschiedliche Ansätze gewählt werden: Er isoliert Buchstaben und sprüht sie auf Einband oder Schnitt; er stattet den Vorderdeckel mit symbolhaften Begriffen aus (beispielsweise ATLAS von 2000); verwendet Palindrome (beispielsweise WE FEW von 2003), malt aufgeschlagene Bände mit leeren Seiten, arrangiert Schrift als Bild. Dabei entfaltet der Künstler eine frappante Vielsprachigkeit mit Bildern, die in den heutigen Zeiten der Metaphernschwemme geradezu befreiend wirkt.
Ed Ruscha hat die Ausstellung speziell für das Kunsthaus konzipiert. Die großen Räume wurden für eine großzügige Hängung genutzt, die Buchexemplare in Vitrinen platziert. Man ist geradezu überwältigt von einer solch anhaltenden und reflektierten Auseinandersetzung mit einem besonderen wie alltäglichen Gegenstand. Wer Bücher liebt und erleben möchte, wie ein großer Künstler ein Thema behandelt und präsentiert, sollte nach Bregenz reisen. Ein Videofilm hält den Vortrag fest, den Ruscha anlässlich der Ausstellung gehalten hat und der ihn als phantasievollen, launigen, manchmal auch als flüchtigen Interpreten seiner Bilder und Objekte zeigt. (Der für August angekündigte Katalog soll im Herbst 2012 vorliegen.
Erwähnte Literatur
Henry Miller, Die Kunst des Lesens. Ein Leben mit Büchern [aus: The Books in My Life, ausgewählt und übersetzt von Manfred Andrae], Reinbek bei Hamburg: Rowohlt Taschenbuch, 1963 (rororo 181), S. 16.
August 2012
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© Timm Starl 2012
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