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Fotokritik

 

Timm Starl
„nur eine Karte“

Monika Burri
Die Welt im Taschenformat
Die Postkartensammlung Adolf Feller
The World in Pocket-Size Format
The Adolf Feller Collection
(Bilderwelten. Fotografien aus dem Bildarchiv der ETH Bibliothek
hrsg. von Michael Gasser & Nicole Graf, N° 1)
Zürich: Scheidegger & Spiess, 2011
26,6 x 20,8 cm, 135 (+1) S., 206 Abb. in Farbe
Gebunden
€ 54,-

Anett Holzheid
Das Medium Postkarte
Eine sprachwissenschaftliche und mediengeschichtliche Studie
Berlin: Erich Schmidt, 2011
(Philologische Studien und Quellen, Heft 231)
21 x 14,4 cm, 439 (+1) S., 195 Abb. in SW und Farbe
Broschiert
€ 59,80

Die Postkarte begründete gemeinsam mit Telefon, Knipserbild und Momentfoto die Moderne der Kommunikation im 19. Jahrhundert. Doch obwohl sie mit Text und Bild auf zwei medialen Ebenen vermittelte und – entgegen den anderen Neuerungen der 1880er Jahre – rasch alle sozialen Schichten erreichte, wurden sie von den Wissenschaften lange Zeit kaum beachtet. Die Geringschätzung begegnete dem Medium allerdings bereits in jungen Jahren, wenn Adel und Bildungsbürgertum es gegenüber brieflichen Mitteilungen wegen der inhaltlichen Begrenzungen und sprachlichen Verkürzungen für geringer wertig hielten. Die Schriftstellerin Marie von Ebner-Eschenbach meinte in einer Karte vom 6. Juni 1900 sich bei einem Empfänger entschuldigen zu müssen und leitete ihre Zeilen mit der Wendung ein: „wirklich also nur eine Karte“ (Holzheid, 12).
            Es wird nicht zuletzt das kleine Format gewesen sein, das beispielsweise die kunsthistorische Gilde bis vor kurzem davon abgehalten hat, die illustrierte Postkarte in ihr Repertoire aufzunehmen. Wie es ja gleichermaßen bei Miniatur und Scherenschnitt, Fotografien im Visit- und Cabinetformat sowie den Produkten der privaten Fotografen und Fotografinnen praktiziert worden ist. Wegen der häufigen Anonymität der Produzenten sowie der teilweise massenweisen Verbreitung wurden (und werden) diese Bildmedien per se als triviale Künste ausgewiesen und damit aus dem Focus eines Faches verbannt, das seinen Begriff von Kunst gerne mittels Hierarchisierung und Personalisierung abgrenzt. Deutlich zeigt sich eine solche Orientierung, wenn Postkarten nur dann Beachtung finden, wenn prominente Künstler und Künstlerinnen abgebildet sind oder sich ihrer bedient haben.
            Zunächst arbeiteten – jedenfalls im deutschsprachigen Raum – die Volkskundler ab den 1960er Jahren mehr und mehr mit Bildmaterial vielfach unbekannter Zeitgenossen, um beispielsweise den Austausch zwischen Auswanderern und den Verwandten in ihrer ehemaligen Heimat zu untersuchen. Nach und nach entdeckten die Kulturwissenschaften die Postkarte für manche Fragestellungen und machten in den Bildern unter anderem die politische Ausrichtung wie das andere Mal die touristischen Ambitionen ihrer Hersteller und Vertreiber aus. Parallel begannen Museen, ihre Bestände aufzuarbeiten und in Ausstellungen und Büchern bekannt zu machen, womit das Altonaer Museum in Hamburg begonnen hatte. Seit etwa einem Jahrzehnt ermöglichen digitale Aufzeichnungen den öffentlichen Zugriff, zum Beispiel auf die Bildpostkartensammlung der Universität Osnabrück (www.bildpostkarten.uni-osnabrueck.de/index-flash.shtml). Gemein ist allen diesen Darstellungen, dass sie nach thematischen und motivischen Kriterien strukturiert sind und die Bildentwürfe in den Vordergrund stellen.
            Dazu zählt auch die Präsentation einer Sammlung an der ETH Zürich, die mit dem Titel Die Welt im Taschenformat bereits andeutet, dass es sich um kleine Wiedergaben handelt, in der die Ansichten der Welt dargeboten werden. Die rund 54.000 Postkarten wurden überwiegend von dem Geschäftsmann Adolf Feller (1879–1931) und seiner Tochter Elisabeth Feller (1910–1973) auf Reisen und über Tausch gesammelt. Sie stammen aus der Zeit von 1889 bis 1980, der Schwerpunkt liegt zwischen 1893 und 1930. 15.000 Karten zeigen Motive aus der Schweiz, der Rest kommt aus 140 Ländern; 8.000 Exemplare, zumeist aus der Zeit nach 1950, sind nicht beschriftet. Die Sammlung wurde im Auftrag der Familie digitalisiert und 2008 der ETH geschenkt. Sie ist auf der Datenbank BildarchivOnline der ETH-Bibliothek zugänglich (http://ba.e-pics.ethz.ch/). Für den Band wurde mit Monika Burri eine Historikerin als Autorin gewonnen, die einleitend über das Zustandekommen der Kollektion und ihren Gründer referiert und anschließend einen kurzgefassten „Überblick über die Postkartengeschichte“ (15) bis in die 1920er Jahre liefert.

 

Ediz. Pericoli: „Rimini, sulla spiaggia“, Postkarte, Poststempel 25.2.1927
Ediz. Pericoli: „Rimini, sulla spiaggia“, Postkarte, Poststempel 25.2.1927 (Burri, S. 65)

 

            Die nachfolgenden Kapitel „Flanieranlagen mit Alpenblick“, „Wintersport- und Strandpostkarten“, „Ortsansichten“, „Ereignispostkarten“ und „Grüsse aus der Ferne“ sind jeweils am Beginn mit Anmerkungen zur jeweiligen Bildwelt und deren Präsenz in der Sammlung versehen. Die nachfolgenden Abbildungen geben die Bildseite der Karten überwiegend in Originalgröße wieder, die fotografisch aufgenommenen Motive überwiegen, grafische Darstellungen kommen nur vereinzelt zur Vorstellung. Die da und dort vorhandenen Bildkommentare nehmen gewöhnlich Bezug auf den Gegenstand, selten auf gestalterische Aspekte, und wirken gelegentlich angestrengt und banal: „Staatsoberhäupter und Adelspersonen waren beliebte Kartensujets. Insbesondere Kaiser Wilhelm II wurde auf Schritt und Tritt von Postkarten-‘Paparazzi’ verfolgt.“ (96) Reichlich kühn erscheint mir auch, „Ereigniskarten“ als „Vorfahren des modernen Bildjournalismus“ auszugeben (92), zumal dessen Betonung auf serieller Darstellung und nicht auf der Herausstellung von Katastrophen, Bränden und Unfällen sowie einzelnen Veranstaltungen lag. Obgleich Bild- und Anschriftenseiten digital erfasst worden und damit bekannt sind, wird auf die Aufdrucke sowie auf die handschriftlichen Vermerke und Mitteilungen nicht eingegangen. Insgesamt wirkt der Band ein wenig bieder und reiht sich mit seinem bunten Angebot an vielfältigen Ansichten moderat in die gängige Sammlungsliteratur ein.
            Illustrierte Postkarten zeichnet jedoch erheblich mehr aus als grafische oder fotografische, monochrome, kolorierte oder farbige Bilder. Und jede Kollektion besteht nicht allein aus einer Fülle attraktiver Motive und seltener Stücke. Und sie verrät nicht allein etwas von den Besonderheiten in bestimmten zeitlichen Abschnitten und in verschiedenen geografischen Regionen oder von den Interessen und Vorlieben der sammelnden Personen. Vielmehr haben unterschiedliche Anlässe ebenso Inhalt und Form der schriftlichen Nachrichten wie die Bildauswahl beeinflusst; ist der Sprachstil der Mitteilung auch der sozialen Herkunft der Absender geschuldet; bestimmt die Größe der Abbildung, also die zur Verfügung stehende leere Fläche die Ausführlichkeit einer Mitteilung und verlangt gelegentlich telegrammartige Abkürzungen; wurden Karten zu allen Zeiten auch für werbende Zwecke an anonyme Adressaten versandt; bezieht sich der eine oder andere Text auf die Illustration, oder ein Absender kennzeichnet eine Stelle im Bild, um auf das Gebäude hinzuweisen, das er bewohnt oder besucht hat; verweisen Stempel, Sender- und Empfängerdaten auf Reiseziele und zurückgelegte Wege; signalisieren die Aufdrucke des Auftraggebers oder des Verlages der Postkarte ebenso wie die gewählte Reproduktionstechnik, auf welchen Käuferkreis man es abgesehen hat; enthalten die einen oder anderen Stücke – wie Feldpostkarten oder die Korrespondenz von Verliebten – Andeutungen, die für dritte Personen nicht verständlich sind; besuchten Zeitgenossen ein Fotoatelier oder griffen selbst zur Kamera und bestellten Abzüge im Postkartenformat, um diese an Verwandte und Bekannte zu versenden.
            Annett Holzheid geht in ihrer Studie in vieler Hinsicht weiter als alle mir bekannten Autoren und Autorinnen in ihren Arbeiten zur Postkarte. Wertvoll sind vor allem die sprachwissenschaftlichen Untersuchungen, weil sie mehrere Spezifika des Mediums aufdecken und diese beispielsweise den Mitteilungen in Briefen, auf Billetts, in Telegrammen und auf Visitenkarten gegenüberstellen. Ohnehin ist es kaum verständlich, weshalb sich bislang Linguisten nicht oder nur am Rande mit dieser Materie auseinandergesetzt haben, stellen Postkarten doch sicherlich das größte Reservoir an schriftlichen Zeugnissen der Alltagssprache dar. Darüber hinaus bedeuteten sie für zahlreiche Zeitgenossen, vor allem der weniger privilegierten Schichten, das einzige Medium, in dem sie sich schriftlich mitgeteilt haben. Insofern übertreibt der Verfasserin nicht, wenn sie „die Postkarte als erstes demokratisches Kommunikationsmedium“ klassifiziert (46). Als Grundlage der Ermittlungen stützte sie sich auf „ein Korpus an gelaufenen Postkarten aus dem deutschen Sprachraum in der Zeit zwischen 1869 und 2007“ (32), der sich auf etwa 10.000 Stücke belaufen hat. Ergänzend wurde auf literarische Werke insbesondere der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert zurückgegriffen, in denen die Korrespondenz mittels Postkarten thematisiert wird.

 

(Holzheid, S. 401)

 

            Der Bogen der Anlässe, Kartentypen und Anwendungen ist weit gespannt und reicht von Grußkarten bis zur Geschäftskorrespondenz. Erwähnt werden sogar die sogenannten Saalpostkarten, mit denen Besucher von Veranstaltungen versucht haben, mit ihnen unbekannten Anwesenden in Kontakt zu treten. Gefragt wird neben anderem nach den Unterschieden in Texten, wenn Absender und Empfänger unterschiedlichen gesellschaftlichen Gruppierungen angehören, oder nach den Gründen, weshalb Karten gelegentlich in Briefen verschickt werden. Bei allen ihren Nachstellungen präferiert Holzheid die Analyse einzelner Texte und lehnt jegliche systematisierende Darstellungen mittels statistischer Erhebungen kategorisch ab. Begründet wird diese Vorgehensweise lakonisch damit, dass „eine quantifizierende Sprachanalyse [...] nicht das adäquate Verfahren zur Erkundung der Kommunikationsgeschichte der Postkarte“ sein könne (33). Allerdings hätten einige Zahlen manchen Problemkreis zusätzlich erhellt, beispielsweise was den Textumfang je nach Anlässen zur Verwendung einer Karte betrifft oder inwieweit sich Herkunft und Geschlecht der Sender auf das Verhältnis von schriftlicher und bildlicher Mitteilung auswirken.
            Der Abschnitt zur Bildpostkarte geriet nicht nur erheblich kürzer als jener zu den Texten, sondern mag auch weniger zu befriedigen. So wurden grafische und fotografische Illustrationen gleich behandelt, als wäre es nicht von Belang, ob und inwieweit die Darstellungen eines Motivs den realen Gegebenheiten nahe kommen. Der Autorin genügte die Erkenntnis, dass die „geschönte Postkartenwelt“ mit dem „Aufkommen der Fotografie“ keine Änderungen erfahren hat (269). Das Verhältnis Bild zu Text wird verhältnismäßig rasch abgehandelt und weitgehend auf formale Gegebenheiten – wie die Frage der Platzierung – reduziert. Diesbezüglich findet die an sich richtige Einschätzung, dass mit der Teilung der Adressseite ab 1905 sich das „Bildelement [...] langfristig als fester Bestandteil für Postkartenkommunikation und darüber hinaus [...] als ein die Schrift dominierender Bestandteil“ etabliert habe (273), keine nähere Erklärung. Denn sofern das Bildliche innerhalb eines Kommunikationsträgers den Vorrang gegenüber den schriftlichen Äußerungen einnimmt, sind allemal soziokulturelle Veränderungen im Bildbedarf dafür verantwortlich, die näher beleuchtet werden sollten.
            Dass die Porträt- und Ansichtskarten nach privaten Aufnahmen – wenn also Bild und Text derselben Hand entstammen – keinerlei Beachtung gefunden haben, verwundert doch einigermaßen. Diese Absenz indiziert ebenso eine nachrangige Behandlung der illustrierten Postkarte wir die Zurücksetzung im Anhang, wenn die Bildbeispiele so klein (etwa 4,5 x 7 cm) wiedergegeben werden, dass manchmal zu Lupe gegriffen werden muss, um Einzelheiten erkennen zu können. Wogegen die Aufdrucke zitiert und die handschriftlichen Mitteilungen sämtliche transkribiert worden sind. Auch wenn zur Bildpostkarte einige Fragen offen bleiben, darf man doch den vorliegenden Band insbesondere wegen der sprachwissenschaftlichen Erörterungen zu den wertvollsten Veröffentlichungen der letzten Jahre zur Postkarte und ihrem Gebrauch an sehen.

Bei den Abbildungen handelt es sich um Wiedergaben aus den besprochenen Veröffentlichungen.

Jänner 2012

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© Timm Starl 2012

PDF - 291kb

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