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Fotokritik

 

Timm Starl
Streifzüge durch Wissenschaft und Kunst

Wahr-Zeichen
Fotografie und Wissenschaft
hrsg. von Andreas Krase und Agnes Matthias
Katalogbuch zur Ausstellung der Technischen Sammlungen Dresden
Ein Kooperationsprojekt mit der Technischen Universität Dresden
Dresden 2006
25 : 19,5 cm, 96 S., 58 teils farbige Abb.
Broschiert
€ 12,- zzgl. Porto

Wahr-Zeichen
Fotografie und Wissenschaft
hrsg. von Andreas Krase und Agnes Matthias
Katalogbuch zur Ausstellung in der ALTANAGalerie, Technische Universität Dresden
Ein Kooperationsprojekt mit den Technischen Sammlungen Dresden. Museen der Stadt Dresden
Dresden 2006
25 : 19,5 cm, 80 S., 75 teils farbige Abb.
Broschiert
€ 10,- zzgl. Porto

Bestellungen sind zu richten an:
Technische Sammlungen Dresden. Museen der Stadt Dresden,
Junghansstraße 1 – 3, D-01277 Dresden, service@tsd.de
TU Dresden, Universitätssammlungen Kunst + Technik in der ALTANAGalerie,
D-01062 Dresden, maria.obenaus@tu-dresden.de

Um die historischen wie gegenwärtigen Beziehungen von Fotografie und Wissenschaft zu bestimmen, bieten sich mehrere Perspektiven an. Der bisherige Kurs der Fotogeschichtsschreibung eröffnet einen mehr oder weniger geraden und abgegrenzten Weg, aber zugleich eine recht enge Sicht auf die Problematik. Dabei werden die Anwendungen des Mediums in den einzelnen Disziplinen untersucht: Welche Apparaturen und Materialien für welche Problemstellungen zur Anwendung gelangt sind und inwieweit die Bilder die gestellten Fragen beantwortet haben. Bei diesem Modus figuriert die Fotografie als eine Art Erfüllungsgehilfe, der sich affirmativ gegenüber seinem Auftraggeber verhält. Von diesem erhält sie Impulse zur Verbesserung und weiteren Entwicklung, um ihr auch hinfort weiter dienlich sein zu können. So wird die Geschichte der Röntgenfotografie im Fach Medizin behandelt, um schließlich – im Zuge steten Fortschritts – bei der Magnetresonanz zu enden.

 

Walther König
Walther König: „Damenhand im Handschuh mit Blumenstrauss“,
aufgenommen im Physikalischen Verein zu Frankfurt a.M.,
Leipzig 1896 (aus der besprochenen Publikation, Bd. 1, S. 40)

 

          Denkbar wäre aber auch ein konträrer Ausgangspunkt, der von den originären fotografischen Fähigkeiten der Sichtbarmachung, Aufzeichnung, Vermessung und Dokumentation jeweils ausgeht und deren Gebrauch in den diversen Wissenschaftszweigen aufzeigt beziehungsweise welch neue Gebiete sich in Zukunft auftun könnten. Dann wäre beispielsweise die Nutzung von Infrarot- und Röntgenstrahlen unter dem Gesichtspunkt zu betrachten, dass diese für je unterschiedliche wissenschaftliche Bedürfnisse imstande sind, Erscheinungen sichtbar zu machen, die mit freiem Auge nicht zu erkennen sind. Einen solchen Ansatz hat in gewisser Hinsicht die Kunstgeschichte gewählt, indem sie vor etwa 15 Jahren die Schönheit wissenschaftlicher Aufnahmen entdeckt hat, also diese auf ästhetische Qualitäten prüft und eine entsprechende Auswahl trifft. Allerdings berührt diese Vorgehensweise das Thema nur an der Oberfläche und aus sozusagen schrägem Blickwinkel, weil ein Kunstbegriff in die Fotografie eingeführt wird, der sich nicht aus den besonderen Konstitutionen des Fotografischen nährt und nur bestimmte bildliche Ausformungen berücksichtigt. Schön ist nur, wenn es sich in den Kanon künstlerischer Hervorbringungen einreihen lässt, wobei meist abstrakten und grafischen Motiven der Vorzug gegeben wird.
           Eine weitere Möglichkeit bringt Herta Wolf ins Spiel, die einen Beitrag in der vorliegenden Publikation beigesteuert und ihn mit „Fotografie = Wissenschaft“ betitelt hat. Mit der verfänglichen Formulierung ist jedoch keine Gleichstellung gemeint, sondern die anlässlich des Venusdurchganges von 1874 unternommenen Anstrengungen, die Fotografie zur möglichst exakten Messung einsetzen zu können. Auf der Platte sollten die aufeinander folgenden Stadien des Planeten dermaßen genau aufgezeichnet werden, dass sich daraus die so genannte Astronomische Einheit – die Entfernung der Erde von der Sonne – errechnen ließe. Wegen der Verzeichnungen je nach Beschaffenheit der Optik und der chemischen Zusammensetzung der lichtempfindlichen Schicht zeigte sich jedoch, dass die notwendige Genauigkeit mit den eingesetzten fotografischen Mitteln nicht zu erreichen war. Aber sowohl die Vorbereitungen auf das Ereignis wie der Misserfolg haben dazu geführt, dass die Potentiale der Fotografie wissenschaftlich eingehend untersucht wurden. Diese Untersuchungen hat man nach den damals geltenden Standards und dem vorhandenen Instrumentarium der wissenschaftlichen Forschung durchgeführt, so dass die Partner – Bildmedium und Wissenschaften – gewissermaßen Hand in Hand gingen, was die Autorin zu ihrem Titel animiert hat.
          Nun muss man die von Wolf daraus abgeleitete und hoch angesetzte Einschätzung des Venusdurchgangs in wissenschaftsgeschichtlicher Sicht nicht unbedingt teilen, doch lässt sich eine ganz anders gelagerte Überlegung daran anschließen. Man könnte doch die Fotografie in den Rang einer Wissenschaft erheben – als Modell, versteht sich –, beispielsweise sei sie die Wissenschaft von der Verbildlichung des Unsichtbaren. Grundlage wäre die Unfähigkeit des Menschen, das in einem kurzen Augenblick Gesehene in allen Details zu erfassen sowie bestimmte Phänomene überhaupt mit freiem Auge zu erkennen. Das Ziel der Fotografie läge also im Nachweis der Existenz und in der Bestimmung unsichtbarer materieller und nicht-materieller Erscheinungen. Zur Erfassung bediente sie sich des Lichts, zur Darstellung des Schattens. Erscheinungen in Zeit und Raum werden zu neuer Gestalt transformiert, so wenn die Phase einer Bewegung als Stillstand inszeniert und eine Landschaft als flächige Projektion dargeboten wird. Dass die Aufnahmen der Frühzeit als schwarzweiße Wiedergaben vorgelegt wurden, entspricht der Zielsetzung, mit neuen, in der Realität nicht vorhandenen Formen die Strukturen des Universums zu erkunden. Zu den hervorragenden Leistungen gehörten neben anderen die Entdeckung unbekannter Himmelskörper und die Durchleuchtung lebender Organismen.
          Zudem ist ein erheblicher Teil wissenschaftlicher Betätigung anderer Disziplinen darauf angewiesen, was die Fotografie in Bezug auf Visualisierung, Aufzeichnung und Archivierung ermöglicht. Auch die Künste haben sich nach 1839 an den Schöpfungen der Fotografie orientiert: Sei es die Unschärfe der Impressionisten oder die Abstraktionen der Kubisten, deren „Maß“ (auch) an der Präzision fotografischer Darstellung genommen worden ist. Und der Film besteht ja ohnehin aus der Aneinanderreihung fotografischer Aufnahmen. Nochmals – es geht um eine gedankliche Konstruktion, bei deren Verfolgung sich eine neue Dimension des Verhältnisses von Fotografie und Wissenschaft erschließen ließe.
          Die beiden Bücher begleiteten jeweils eine der gleichnamigen Ausstellungen der TU Dresden (14. Oktober 2006 – 17. Februar 2007) und der Technischen Sammlungen Dresden (11. November 2006 – 18. Februar 2007). In der Folge führe ich die Publikationen in dieser Reihenfolge als Band 1 und 2 an, obgleich sie so nicht ausgezeichnet worden sind. Die Konzeption des Projektes richtet sich nach der oben zuerst genannten und in der Fotohistoriografie gängigen Verfahrensweise, wobei der erwähnte Text von Herta Wolf sich darin nicht einfügt. Beschränkt hat man sich auf die Themenbereiche Geowissenschaften, Röntgentechnik, Kunstreproduktion und Astronomie, die im ersten Band mit jeweils ein bis zwei fotohistorischen Aufsätzen angeschnitten werden. Ebenso viele künstlerische Beiträge berühren in ganz unterschiedlicher Weise das Thema. Der zweite Band enthält Bilder – meist Serien – von Fotografen, Fotokünstlern und Künstlerfotografen (ich meine immer Männer und Frauen) aus der Zeit der 1920er Jahre bis in unsere Tage. Deren Entwürfe entstanden entweder in Zusammenarbeit mit Naturwissenschaftlern oder mithilfe von Geräten, die gewöhnlich für wissenschaftliche Zwecke eingesetzt werden.

 

Europäische Südsternwarte
Europäische Südsternwarte: Kompositaufnahme des
Pferdekopfnebels (IC43), 1998, Überlagerung von drei
Aufnahmen (aus der besprochenen Publikation, Bd. 1, S. 72)

 

          Was den fotohistorischen Teil betrifft, haben Ausstellung und Publikation Beauty of Another Order. Photography in Science von 1997, ein Projekt der National Gallery of Canada in Ottawa, Pate gestanden. Ann Thomas, die Kuratorin des damaligen Vorhabens, hat an den konzeptuellen Vorbereitungen mitgewirkt und einen so kurzen wie oberflächlichen Text beigesteuert, der seltsamerweise im zweiten Band platziert worden ist. Die Herausgeber – zugleich Kuratoren der Ausstellung – verstehen ihr Vorhaben als „lokalgeschichtlich orientiertes Pendant [...], erweitert [...] um die Dimension einer künstlerischen Reflexion der Inhalte“ (Bd. 1, 9/10). Die geäußerte Begrenzung erweist sich als allzu bescheiden und ist nur insofern zutreffend, als mehrfach auf den Dresdner Hermann Krone und dessen „Lehrmuseum“ von 1907 Bezug genommen wird.
           Bemerkenswert an der Veröffentlichung ist vor allem die Leistung der Herausgeber Andreas Krase und Agnes Matthias, die zu den einzelnen Themenfeldern jeweils den historischen und theoretischen Hintergrund skizzieren und damit den punktuellen Herausstellungen der anderen Autoren Halt zu verleihen. Insbesondere versehen sie auch – gemeinsam mit Wolfgang Hesse – sämtliche künstlerischen Beiträge jeweils mit einem informativen und engagierten Kommentar. Ohnehin finde ich manche der Arbeiten jüngeren Datums als den spannenderen Teil des Projekts, zumal die traditionellen Zugangsweisen von Carl Strüwe und Alfred Ehrhardt mit ihren mikro- und makrofotografischen Aufnahmen aus der Zeit zwischen den Weltkriegen ohnehin recht bekannt sind. Auch die Rhythmogramme von Heinrich Heidersberger aus den 1950er Jahren sowie die Sukzessionen von Rolf H. Krauss um 1980 wurden unter dem Aspekt generativer oder abstrakter Fotografie in den letzten beiden Jahrzehnten mehrfach vorgestellt.

 

Jakob Mattner
Jakob Mattner: „Helios Negative“, 2005
(aus der besprochenen Publikation, Bd. 2, S. 63)

 

           Am besten gefallen mir jene Werke, die das Wissenschaftliche und das Fotografische in einer Geste aufheben. Seien es die „Helios Negative“ des Bildhauers Jakob Mattner aus dem Jahr 2005, die wie mikroskopische oder teleskopische Wiedergaben aussehen und keinesfalls fotografisch entstandene Negative darstellen. Vielmehr wurden fluidale Lösungen in Bewegung versetzt und abfotografiert, wobei die entstandenen Formen wie extreme Verkleinerungen oder Vergrößerungen anmuten – als habe der Lichteinfall die fotografische Schicht entsprechend geschwärzt. Oder die unter der Überschrift „Bakterium – Vanitas“ auftretenden, wie Fotogramme wirkenden runden Bilder von Edgar Lissel. Er „platziert Objekte wie einen Fisch, ein Eichenblatt oder einige Fliegen zwischen einer von unten scheinenden Lichtquelle und einer Petrischale mit der Bakterienkultur. Die Bakterien wandern nun an die vom Licht beschienenen Stellen, die dementsprechend dunkel werden. Wo sich das Objekt befunden hat, konnte hingegen kein die Bakterien anziehendes Licht durchdringen, die Gegenstände heben sich hier als helle Silhouetten mit flirrenden Konturen ab.“ (Agnes Matthias, Bd. 2, 45). Im einen Fall wird nicht mit Licht gearbeitet, im anderen handelt es sich nicht um Fotogramme. Hypothese und Täuschung sind wesentliche Elemente von Wissenschaft und Fotografie, deren besondere Verbindung in den Arrangements der beiden Künstler zutage treten.

Februar 2007

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© Timm Starl 2007

PDF - 461kb

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