Fotokritik |
Timm Starl
„Kodak war kein guter Hund. Er war nervös [...]“
Andreas Feininger
Ein Fotografenleben / A Photographer’s Life
1906 – 1999
Hrsg. / Eds. Thomas Buchsteiner, Ursula Zeller
Texte von / Texts by Thomas Buchsteiner
Buch zur Ausstellung im Zeppelinmuseum Friedrichshafen
Ostfildern: Hatje Cantz, 2010
23,5 x 17,6 cm, 191 (+1) S., 129 SW-Abb.
Gebunden
€ 29,80
Stünde zur Debatte, wer neben „Ansel Adams, Bill Brandt, Alfred Eisenstaedt, André Kertesz und Jacques-Henri Lartigue 1983 zu den sechs besten Fotografen weltweit“ zu zählen gewesen sei, käme niemand auf die Idee, Andreas Feininger zu nennen. (Sieht man einmal von der Unsinnigkeit einer solchen Frage ab.) Doch in einer Sendung der BBC rechnete man ihn damals dazu, wie es einleitend heißt (9), wobei „man“ ein englischer Redakteur gewesen ist, wie eine Fußnote verrät. Davor qualifiziert Thomas Buchsteiner, von dem – bis auf das Vorwort – der gesamte Text des Buches stammt, seinen Helden nicht nur als „Legende der Fotografie“, sondern auch als „Pionier des modernen Bildjournalismus“ (9), was offenbart, dass der Autor auf wenig informierte Leser setzt. Denn eine neue Form der Fotoreportage kam in den 1920er Jahren auf, und Feininger begann, wie später zu lesen ist, erst „um 1925“ zu fotografieren, nachdem er sich „die Kamera seiner Mutter“ geliehen hatte (27).
In dem einleitenden, gut eine Druckseite ausfüllendem Überblick werden Künstler aus anderen Sparten bemüht, um Feiningers Werk in seiner „skulpturalen Geradlinigkeit und Schlichtheit“ zu charakterisieren: „’[K]eep it simple’ war sein Credo [...] Wie die Musik Johann Sebastian Bachs, die er über alles liebte, weil sie wegen ihrer klaren Struktur so rein, heiter und kraftvoll war, so sollten auch die Kompositionen seiner Fotografien sein.“ Und um die Vorliebe des Protagonisten für schwarzweiße Fotografie ins rechte Licht zu setzen, heißt es: „Der deutsche Maler Georg Baselitz hat einmal gesagt, er denke manchmal, dass die besten Bilder keine Farbe brauchen.“ Auch eine Art Gegenposition zu Feininger wird aufgetan, die ein Kriegsfotograf einnehmen muss: „Fotografisch war er [d.i. Feininger] kein Hasardeur wie Robert Capa [...]“ (9)
Eine solche Einführung voller Superlative und so verwegener wie hinkender Vergleiche lässt nichts Gutes erwarten. Die Schilderung des Lebenslaufes und Werdeganges Feiningers erfolgt in einer weitgehend chronologischen Darstellung, durchsetzt von Anekdoten sowie Äußerungen des Fotografen und Zuweisungen seines Biografen. Feiningers Popularität verdankte sich ja nicht zum Mindesten der Simplifizierung, mit der er in seinen zahlreichen Büchern das fotografische Schaffen erläuterte: „Allein der Fotograf kann genau wissen, was er auf seinen Abzügen haben will“, wird 1963 kundgetan (169). Und 1975 erfährt man, ein Fotograf könne „‘gute’, das heißt wichtige und eindringliche oder bewegende Bilder nur machen (...), wenn er ein persönliches Interesse und Gefühl für die Motive hat, die er fotografiert.“ (167) Buchsteiner übernimmt gerne solche Aussagen, statt auf Distanz zu gehen und zu differenzierten Wertungen zu gelangen. Stattdessen lässt er den Leser an Mahlzeiten teilnehmen: „Das Pot au Feu gab es sonntags beim ‘Dinner à trois’ nach ständig verbessertem Rezept [...]“ (59) Und immer wieder tauchen Hunde auf: „Bevor Andreas die Schule in Zehlendorf besuchte, lernte er [...] Lesen und Schreiben in Privatstunden bei Fräulein Jähnicke, die ‘einen ockerfarbigen Boxer mit schwarzem Gesicht hatte’.“ (17) Später wird ein „Kodak“ als „kein guter Hund“ bezeichnet (125).
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Anton Stankowski: „Begrüßung Zürich Rüdenplatz“, 1932 (aus: A. Stankowsi, Eine Auswahl von Photographien. 1927–1939/1954, Zürich: ohne Verlagsangabe, 1979) |
Andreas Feininger: „Kungsgatan, Stockholm“, 1935 (aus dem besprochenen Band, S. 69) |
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Des ausführlichen Zitierens kurzer Sinn: Es liegt eine überflüssige Biografie vor, die weder der Person noch dem Wirken des Fotografen angemessen ist, auch wenn seine Bedeutung erheblich geringer eingeschätzt werden muss, als Buchsteiner meint. Andreas Feininger wird 1906 in Paris als Sohn einer jüdischen Mutter und des amerikanischen Malers Lyonel Feininger geboren. Sein Vater kommt 1919 als „Meister der Formlehre“ ans Bauhaus in Weimar, wo Andreas eine Ausbildung zum Kunsttischler erhält. Der Gesellenprüfung folgt ein Architekturstudium an der Bauschule in Zerbst, das 1929 abgeschlossen wird. Die nächsten Jahre wirkt der Architekt in einschlägigen Büros in Hamburg, ab 1932 in Paris und ab 1933 in Stockholm. Hier entscheidet er sich, künftig hauptberuflich als Fotograf zu arbeiten und veröffentlicht seine Bilder in Magazinen und auf Ausstellungen. Ende 1939 geht er mit seiner schwedischen Frau Wysse in die USA und findet eine Beschäftigung als freier Fotograf bei der Zeitschrift Life. 1943 wird daraus eine feste Anstellung in der Redaktion, und Feininger liefert in den anschließenden 20 Jahren 346 Reportagen. Nachdem er zwischen 1934 und 1939 bereits mehrere Buchveröffentlichungen vorgelegt hat, folgen in den USA über 30 Lehrbücher, Bildbände und Ausstellungskataloge. Ende der 1980er Jahre gibt er seine fotografischen Aktivitäten auf und stirbt 1999 in New York.
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Walter Rosenblum: „Candy Store“, 1938, aus der Serie „Pitt Street“ (aus: Walter Rosenblum, Weingarten: Kunstverlag Weingarten, Dresden: Verlag der Kunst, 1990, S. 8) |
Andreas Feininger: „Greek café on Mulberry Street“, New York, 1940 (aus dem besprochenen Band, S. 89) |
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Andreas Feininger hat sich in vielen Themen und Techniken versucht, fotografiert weibliche Akte, fertigt Fotogramme von Insektenflügeln und Makroaufnahmen von Pflanzen, experimentiert mit Solarisationen. Am häufigsten jedoch wendet er sich urbanen Erscheinungen zu, dem Treiben auf den Straßen und an den Stränden, den Hochbahnen und den Schiffen im Hafen, den Bauwerken und den Silhouetten der großen Städte. Beeinflussen ihn zunächst noch die Perspektiven des Neuen Sehens der 1920er Jahre mit ihren steilen Sehweisen und extremen Schattenwürfen, lässt er sich später von dem Projekt „Changing New York“ inspirieren, das Berenice Abbott ab 1929 realisiert und 1939 in einem Buch zusammengefasst hat. Ebenso lehnt er sich in den Szenen mit Passanten auf den Gehsteigen und vor den Schaufenstern an die Arbeiten von Walter Rosenblum aus den ausgehenden 1930er Jahren. Diese beiden Personen finden allerdings bei Buchsteiner ebenso wenig Erwähnung wie jene Kollegen, die gleichzeitig in den USA tätig waren, sich der „street photography“ verschrieben haben oder später den neuen dokumentaristischen Strömungen anhingen.
Eine ganz eigene und durchaus faszinierende Sichtweise entwickelt Feininger, indem Telekameras verwendet werden, die er bereits in Stockholm zu konstruieren begonnen hat und durch immer neue Modelle ergänzt. Es entstehen ‘gewaltige’ Ansichten, die ebenso die monumentalen Züge der großstädtischen Architektur betonen, wie sie das Auftreten gleichartiger Erscheinungen in einer geradezu irritierenden Weise verdichten. Vor allem diese Bilder aus Chicago und New York stellen einen originären Beitrag des Fotografen zur Bildwelt des 20. Jahrhunderts dar, und allein schon wegen dieser Leistung hätte er eine ernsthafte Würdigung, nicht aber einen niveaulosen Abriss zu seinem Leben wie den vorliegenden verdient.
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Andreas Feininger: „Jewish cemetery in Queens“,
New York, 1941 (aus dem besprochenen Band, S. 135) |
Andreas Feininger: „Lunch hour rush on 5th Avenue“, New York, 1950 (aus dem besprochenen Band, S. 132) |
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Erwähnte Literatur
Changing New York, Photographs by Berenice Abbott, text by Elizabeth McCausland, New York 1939; Bonnie Yochelson, Berenice Abbott – Changing New York. Photographien aus den 30er Jahren. Das vollständige WPA-Projekt, München u. a.: Schirmer/Mosel, 1997
August 2011
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© Timm Starl 2011
PDF - 264kb
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