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Fotokritik

 

Timm Starl
Geschmäcker im kleinen Format

Cut
Gisela Erlacher – Fotografien
mit einem Essay von Franz Schuh
deutsch/englisch
Klagenfurt: Wieser, 2010
15,9 x 9,8 cm, 119 (+1) S., 50 Abb. in Farbe
Gebunden
€ 12,95, CHF 22,90

Das englische Cut für Schnitt findet im Deutschen häufig Anwendung beim Sport für eine Verletzung und beim Film für den Abschluss einer Sequenz. Cut wird aber auch als Abkürzung für den Cutaway, ein besonders geschnittenes Sakko, das in unseren Breitengraden nur selten verwendet wird und auch früher nur von einem bestimmten Teil der Gesellschaft getragen worden ist. Wenn der Begriff als Titel ein Buch ziert, dann folgte der Verlag zunächst der gängigen Mode nicht nur in der Fotografie, mit Anglizismen unseren Wortschatz zu erweitern. Gleichwohl ist das Wort gut gewählt, denn es steht ebenso für eine Veränderung, derer man plötzlich ansichtig wird und die manchen schmerzlich anmutet, wie für eine Hülle, die etwas ebenso verdeckt wie betont.
            Die Fotografien von Gisela Erlacher zeigen, wie Bäume und Sträucher beschnitten und Wiesen angelegt werden, um private Gebäude und öffentliche Plätze zu dekorieren. Natur wird zu architektonischen und geometrischen Gebilden geformt, um das Grau und andersfarbige Flächen zu begrünen. Thujen, Kletterpflanzen und Rasen sollen gegen die kahlen und eintönigen Flächen von Häuserfassaden und Einfassungen, Gehwegen und Spielplätzen opponieren, indem sie eine ‘natürliche’ Lebendigkeit ins Spiel bringen. Dabei passen sich die Figuren aus Ästen und Stengeln, Blättern, Nadeln und Halmen der Gestalt an, die sie verhüllen. Oder sie weichen von dieser ab und treten als Kegel und Zylinder, Blöcke oder kugelartige Erscheinungen auf.
            Die bevorzugte Spielwiese für solche Verschönerungen bildet der Vorgarten und die Grundstücksgrenze. Hier beginnt mein Reich, will der Hauseigner und ‘Architekt’ damit sagen, ich schmücke meine Umgebung und bekenne, was mir gefällt. Franz Schuh schreibt in seinem ebenso kurzen wie prägnant argumentierenden Essay, der mit „Scheitern am Schönen“ betitelt ist, die ästhetischen Vorlieben für dieserart Dekoration einem „Mittelstand“ zu, den Angehörigen einer Schicht, „die nicht wirklich reich sind, aber schon gar nicht arm [...]“ Gemeint sind Zeitgenossen, die sich meist am Rande von Städten und Dörfern ein Wohnhaus errichten lassen und ihren Geschmacksvorstellungen huldigen, womit sie ihr Eigentum gleichermaßen behaupten wie verteidigen.

 

 

            Erlacher hat fotografisch registriert, was ihr begegnet ist und ein Archiv der ästhetischen Verfehlungen angelegt. Nein, der Fotografin ging es um Aufzeichnungen der unterschiedlichen Gestaltungsmodelle, einer eigenwilligen Architektur, der vielfältigen Formen. Indem sie die Kamera auf Augenhöhe gehalten hat, ist sie in die Rolle einer Passantin geschlüpft, die von der Straße aus das Auffällige in den Fokus nimmt. Wer in den abgebildeten Kreationen Verfehlungen sehen will, stellt seinen Geschmack über jenen anderer. Es ist der Betrachter, der ein Urteil fällt, nicht die Fotografin, und auch nicht der Verlag, der aus der Fotosammlung Bilder zur Veröffentlichung auswählt.
            Zuständig ist der Verlag allerdings dafür, wie die Fotografien präsentiert werden. Leider sind sämtliche Abbildungen in dem Büchlein abfallend und über den Bund gelegt, was nicht nur bedeutet, dass die Pagina, die der illustrierte Teil gar nicht benötigt, ins Bild gesetzt werden musste, sondern auch dass mit dem Schnitt mitten durch die Aufnahme den Arbeiten Erlachers Gewalt angetan wurde. Diese Machart ergibt Verzerrungen, manchmal trennt sogar ein Faden sichtbar die Bildhälften. Ich hoffe, dass das Wiener Architekturmuseum sein Vorhaben einer Ausstellung wahr macht, damit wir ungeteilte und nicht mit Nummern versehene Bilder betrachten können.

Bei der Abbildung handelt es sich um eine Wiedergabe aus der besprochenen Veröffentlichung.

Februar 2011

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© Timm Starl 2011

PDF - 137kb

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