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Fotokritik

 

Timm Starl
Gesichter und Posen
Elegante Inszenierungen einer Wiener Fotografin

Ausstellung
„Trude Fleischmann. Der selbstbewusste Blick“
Wien: Wien Museum, 27. Januar – 29. Mai 2011

Katalog
Trude Fleischmann
Der selbstbewusste Blick / A Self-Assured Eye
Hrsg. von / Edited by Anton Holzer, Frauke Kreutler
Texte von / Texts by Heike Herrberg, Anton Holzer, Marion Krammer, Frauke Kreutler, Astrid Mahler
Ostfildern: Hatje Cantz, 2011
27 x 21 cm, 198 (+1) S., 127 Abb. in Farbe
Broschiert
€ 27,- in der Ausstellung
Gebunden, Schutzumschlag
€ 38,80, CHF 56,90 im Buchhandel

Es hat etwas durchaus Angenehmes, eine monografische Schau traditioneller Ausrichtung zu besuchen. Den Anfang macht gewöhnlich ein Porträt der zur Debatte stehenden Person und ein Text zur Einführung. Die folgenden Exponate sind eines nach dem anderen auf Augenhöhe in quasi militärischer Ordnung gereiht; nur gelegentlich ist ein Viererblock dazwischen geschoben oder eine Vitrine an die Wand gestellt, um die stereotype Folge aufzulockern. Die Bilder sind meist nach Motivgruppen oder Schaffensabschnitten zusammengefasst, an deren Beginn jeweils kurze Erläuterungen zu stehen kommen. Gelegentlich füllen großformatige Reproduktionen ganze Wände oder erhebliche Teile davon; manchmal werden über den Bildfolgen auch Zitate wiedergegeben. Mit der Platzierung von Zwischenwänden wird ein Parcours abgesteckt, der es überflüssig macht, über die Reihenfolge der Durchsicht nachzudenken.

           Solcherart inszeniert das Wien Museum seine Fotoausstellungen und übernimmt diese Praxis auch bei der monografischen Schau zu Trude Fleischmann (1895 – 1990), deren knapp 170 Exponate zum guten Teil aus dem eigenen Fundus stammen. Als Begrüßung blickt die Fotografin von ihrem Wiener Atelier aus auf das Publikum, recte in die Kamera, mit der sie Annie Schulz 1929 abgelichtet hat. Noch weitere Male trifft der Besucher auf sie, in privaten Aufnahmen, in einem kurzen Film von einer Familienfeier 1957, zuletzt als alte Frau 1984 in New York. Nach und nach wird uns ihre Erscheinung vertraut, und auch ihre Stimme bekommt man zu hören, aufgezeichnet in einem Interview von 1986. So ist die Protagonistin ständig präsent, inmitten ihrer Werke und solcher von Kolleginnen und Freunden.

 

Trude Fleischmann: Eva Wagner, Wien, 1925 Stephanie Brandl: Frauenporträt, Wien, um 1925
Trude Fleischmann: Eva Wagner, Wien, 1925, 21,5 x 16,5 cm (S. 46) Stephanie Brandl: Frauenporträt, Wien,
um 1925, 21,9 x 13,5 cm (S. 63)

 

         Bildnisse und eine Handstudie von Karl Kraus leiten die Serie von prominenten und weniger berühmten Zeitgenossen ein, die sich in den 1920er und 30er Jahren in Fleischmanns Atelier eingefunden haben. Als bevorzugtes Metier der Fotografin bilden die Porträts knapp ein Drittel der ausgestellten Werke. In den Brustbildern und Kopfstudien spielen immer wieder die Hände eine nicht unerhebliche Rolle, wenn sich die Modelle darauf stützen oder sie an den Körper legen. Die Frauen und Männer blicken selten ins Objektiv und wirken häufig nachdenklich und wie abwesend. Der Fotografin ist es offensichtlich nicht so sehr um charakterliche Interpretationen gegangen, als die Porträtierten ganz bei und für sich sein sollten.
            Wenn in einem ungezeichneten Vortext des Kataloges zum Abschnitt „Das Atelier als Treffpunkt“ und an anderer Stelle von „psychologischen Momentaufnahmen“ (14, 126) gesprochen wird, so ist eine solche Einschätzung nur schwer nachzuvollziehen. Selbst Astrid Mahler sieht es in ihrer aufmerksamen Studie zu „Trude Fleischmanns Porträts“ anders und betont die „Mischung aus Distanz und Nähe zum Objekt“ (55), die nicht zuletzt eine fotografische ist: Auch wenn manche Gesichter von der Kamera aus kurzer Entfernung festgehalten worden sind, so unterstützt „die Anwendung von Edeldrucken [...] wie auch die Tönung des Papiers durch spezielle Bäder [...] die leichte Unschärfe“ (54), die wie ein Schleier über vielen Gesichtern liegt. Färbung und Unschärfe gehören zu den probaten fotografischen Mitteln des Entrückens und Verbergens.
            Bevor in der Ausstellung das nächste Thema angeschnitten wird, lassen uns die Kuratoren Frauke Kreutler und Anton Holzer auf das Tun von zehn Kolleginnen blicken, die gleichfalls im Wien der Ersten Republik und für eine ähnliche Kundschaft aus bekannten Figuren des öffentlichen Lebens tätig gewesen sind. Warum mit 38 Beispielen ausschließlich Arbeiten von Frauen vorgeführt werden, kann ich nicht recht verstehen. Dieselbe Personengruppe frequentierte ebenso die Ateliers der Fotografen, und es bestehen durchaus motivische Gemeinsamkeiten und gestalterische Anklänge in den Kreationen eines Franz Löwy, Abraham Myron Schein oder Franz Xaver Setzer. Auch diese mussten später wie viele ihrer jüdischen Kolleginnen wegen ihrer Herkunft emigrieren, und ihr Œuvre ist wie jenes der Fotografinnen – ausgenommen Dora Kallmus (Madame d’Ora) – noch wenig bekannt. Doch die Konzentration auf das weibliche Fotoschaffen lässt womöglich den einen oder die andere vermuten, die Frauen hätten in der Atelierproduktion der 20er und 30er Jahre eine besondere Rolle gespielt oder gar einen eigenen Stil geprägt. Das Aufgreifen von Elementen des Neuen Sehens mit seinen kühnen Perspektiven und starken Nahsichten – „gemäßigte Moderne“ attestiert Mahler den Entwürfen von Trude Fleischmann (54) – war keine geschlechtspezifische Eigenart. Einmal davon abgesehen ist zu begrüßen, dass überhaupt nach links und rechts geschaut wird und die Heldin nicht – wie in den meisten monografischen Darstellungen der vergangenen Jahrzehnte – als einsame Fotografin vorgeführt wird, die von Konkurrenz und anderen Einflüssen unberührt geblieben ist.
            Die 20 Tanz- und acht Aktaufnahmen sind hintereinander platziert. Verbunden sind sie durch die Tänzerin Claire Bauroff, die in fünf Bildern nackt auftritt, von denen eines den Katalogumschlag ziert, wie ein anderes am Cover einer Veröffentlichung zu Trude Fleischmann von 1988 vertreten ist. Völlig zu recht werden diese Studien herausgestellt, sind doch mit Haltungs- und Bewegungsdarstellungen zwei differente Aspekte der Inszenierungen im Atelier angeschnitten. Während das Porträt eher dem Gestaltungswillen der Fotografen zugeschrieben wird, erwächst die Tanzpose aus den Vorstellungen des Modells. Zudem steht Claire Bauroff mit ihrer Schlankheit und Eleganz, dem Haarschnitt und der selbstverständlich zur Schau gestellten Nacktheit geradezu prototypisch für die Neue Frau der 1920er Jahre. Insofern folgt sie einem Bild, das Madame d’Ora 1922 von Anita Berber, die ebenfalls als Nackttänzerin auftrat, geschaffen hat.

 

Madame d’Ora: Anita Berber, 192
Madame d’Ora: Anita Berber, 1922, 22,4 x 9,4 cm (aus: Uwe Scheid, Das erotische Imago II.
Das Aktphoto von 1900 bis heute
, Dortmund: Harenberg, 1986 [Die bibliophilen Taschenbücher Nr. 485], S. 127)
Trude Fleischmann: Claire Bauroff, Wien,
1925, 22,6 x 10,4 cm (S. 113).

 

            Mit den Porträts und Tanzdarstellungen ist Trude Fleischmann bald nach der Eröffnung ihres Ateliers im Zentrum Wiens, das ihr 1920 die wohlhabenden Eltern ermöglicht haben, in Zeitschriften und Magazinen vertreten. Ab 1933 muss sich die Fotografin allerdings neu orientieren, denn als Jüdin ist ihr der Zugang zu den deutschen Illustrierten verwehrt, und in Österreich beherrscht eine reaktionäre Heimattümelei den Großteil der Presse. Fleischmann verlässt das Studio, fotografiert auf dem Land, geht auf Reisen und bedient den gängigen Geschmack, dem der Sinn nach bäuerlichem Leben und bergigen Landschaften steht. Bei den Salzburger Festspielen trifft sie im Umkreis der Veranstaltungen auf die anwesende Prominenz. Doch die Arbeit außerhalb des Ateliers gehört nicht zu den Stärken der Fotografin, und die bildlichen Zeugnisse aus den Jahren bis 1938 unterscheiden sich nicht von den mittelmäßigen Hervorbringungen anderer Bildautoren und -autorinnen, die den Weg in die illustrierten Blätter gefunden haben. Erst nach ihrer Emigration über Paris und London kann sie mit der Etablierung eines Studios in New York ihrer gewohnten Tätigkeit im Porträtgeschäft nachgehen, ohne den ehemaligen Standard erreichen zu können.

 

Trude Fleischmann: Türkenschanzpark, Wien, 1930er Jahre Trude Fleischmann: Arturo Toscanini in Salzburg, 1935
Trude Fleischmann: Türkenschanzpark, Wien, 1930er Jahre, 13,3 x 22,2 cm (S. 142) Trude Fleischmann: Arturo Toscanini in Salzburg, 1935, 18,2 x 24,1 cm (S. 145)

 

            Das Nachlassen der Kreativität mag einer der Gründe gewesen sein, weshalb man den Schwerpunkt auf die Wiener Zeit der 20er und beginnenden 30er Jahre gelegt hat. Möglicherweise verfügte auch das Wien Museum für die Zeit danach nicht über ausreichendes Bildmaterial. Jedenfalls machen Arbeiten nach 1933 nur etwa ein Fünftel der Exponate aus. Auch wenn in der Einleitung des Kataloges davon die Rede ist, dass ihr Werk „umfangreicher und thematisch deutlich breiter als bisher angenommen“ (10) gewesen sei, so wird dieses Spektrum nur ansatzweise deutlich gemacht. Abgesehen davon dass ein Mehr an Motiven und kompositorischen Ansätzen nicht gleichbleibende Qualität garantiert. Und die Verwunderung der Kuratoren wirkt nicht recht überzeugend, zumal schon Hans Schreiber in seiner Monografie von 1990 ein Dutzend Abbildungen (von insgesamt 86) mit Reise- und Freizeitaufnahmen nach 1933 gebracht hat. Ohnehin fallen manch seltsame Betonungen und Auslassungen in den Katalogbeiträgen auf und schmälern den positiven Eindruck, den die gut arrangierte Schau hinterlässt.
            Im Unterschied zur fundierten Auseinandersetzung von Astrid Mahler mit begründeten und nachvollziehbaren Wertungen zeigt sich in manchen Texten eine Vorliebe für Superlative, finden sich da und dort falsche Zuweisungen und werden Formulierungen mehrfach wiederholt. An vier Stellen wird angegeben, dass Frauen erst nach 1908 an der Graphischen Lehr- und Versuchsanstalt Fotografie studieren konnten (10, 58, 124, 148). Fleischmann werden alle möglichen Attribute und diese meist in der Steigerungsform zugeordnet: Sie würde „gewagter und moderner“ fotografieren als ihre männlichen Kollegen (Pressetext), sie gehöre „zu den innovativsten, produktivsten und bekanntesten österreichischen Lichtbildnerinnen“ (8), ferner „zu den erfolgreichsten und innovativsten Atelierfotografinnen“ (14), die durch die Presse zu einer „Starfotografin“ (128) avanciert sei.
            Zudem wird die Fotografin als einzigartige Vertreterin ihrer Branche und ihres Geschlechts hingestellt und verlangt, man solle ihre „Anmeldung des Porträtfotografiegewerbes Anfang Jänner 1920 auch als Ausdruck eines neuen Selbstverständnisses von Frauen lesen.“ (150) Das kann man durchaus, jedoch wird einzig Dora Kallmus, die unter dem Etikett „d’Ora“ 1907 ein Atelier in Wien eröffnet hat, als frühere Unternehmerin am Ort angeführt (58, 148). Wogegen unerwähnt bleibt, dass zwischen den beiden Zeitpunkten der Ateliergründung in derselben Stadt rund 90 Frauen das Fotografengewerbe angemeldet haben. Nicht umsonst stellte Helene Littmann, die seit den 1890er Jahren in Wien als Amateurfotografin wirkt und die Zeitschrift Frauenleben herausgibt, bereits 1908 fest. „Allerorts finden wir solche Ateliers, die von Frauen geleitet werden [...]“ Dass die „erste Schau in Österreich [...], in der ausschließlich Fotografinnen gezeigt werden“, bereits 1907 in Wien – und nicht wie behauptet 1931 (125) – stattgefunden hat, unterstreicht, dass sich die Vertreterinnen des Gewerbes bereits im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts – und nicht erst nach dem Ersten Weltkrieg – einen bedeutenden Platz innerhalb der „Männerdomäne“ (Pressetext) erobert hatten.
            Es wäre auch informativ gewesen, über die Grenzen des Landes hinauszublicken, weil man in Deutschland analoge Tendenzen hätte konstatieren können, die die Aktivitäten jüdischer Fotografinnen in Wien nicht als solitäre Entwicklung erscheinen lassen würden. Unter anderem eröffnete Frieda Rieß 1917 ein Studio in Berlin, und weitere jüdische Atelierbesitzerinnen wie Cami Stone oder die Schwestern Nini & Carry Hess bedienten ebenso eine „illustre Klientel“ (14, 123) aus denselben Kreisen und betrieben neben dem Porträtfach Tanz- und Aktfotografie. Germaine Krull publizierte 1918 eine Mappe mit „Aufnahmen weiblicher Körper nach der Natur“.
            Akte entstanden, wie richtig vermerkt wird, bereits im 19. Jahrhundert, aber nicht bevorzugt „[i]n Hinterzimmern“ (110), sondern seit den 1850er Jahren in Fotoateliers. Und sie wurden noch vor Ende des Jahrhunderts öffentlich präsentiert: Die Tänzerin Olga Desmond ließ sich bereits in den 1890er Jahren nackt aufnehmen und trat ebenso auf und nicht erst in den 1910er Jahren wie angeführt (109). In Wien waren Aktaufnahmen seit 1894 in den Ausstellungen des Camera-Clubs zu sehen, und 1904 fanden sie Eingang in eine Veranstaltung im „k.k. österreichischen Museum für Kunst und Industrie“. Auch Wiener Fotografinnen wie Silvia Aurednicek produzierten Aktstudien, die noch vor dem Ersten Weltkrieg ausgestellt und in fotografischen Fachjournalen veröffentlicht wurden.
            Marion Krammer kritisiert in ihrer biografischen Abhandlung zwar, dass „[w]idersprüchliche und falsche Angaben [...] in zahlreichen Lexika und Publikationen als vermeintliche Fakten festgeschrieben und einzementiert“ werden, muss sich aber mehrfach mit der Möglichkeitsform begnügen, wenn Lebensstationen angesprochen werden. Im übrigen wird vorwiegend nominalistisch vorgegangen, ohne mit der Aneinanderreihung von Bekanntschaften mit diesen und jenen Künstlern auf die Leistungen von Trude Fleischmann neues Licht werfen zu können. Wenn sich Heike Herrberg im letzten Beitrag „[a]uf den Spuren von Trude Fleischmann in New York“ (170) bewegt, so gleicht diese Exkursion einer Anekdotensammlung, in die selbst Vermutungen wie „eine Liebesbeziehung“ (171) von Fleischmann zu einer Fotografenkollegin Eingang finden.
            So sehr den beiden Kuratoren mit der Schau eine gut strukturierte und anregende Vorstellung der Arbeiten gelungen ist, so wenig Sorgfalt haben sie als Herausgeber der begleitenden Publikation gewidmet. Die Hervorbringungen von Trude Fleischmann in ihrer Wiener Zeit bis Anfang der 1930er Jahre haben ein Niveau, das der lautstarken Vokabel nicht bedarf und eine intensivere Recherche verdient hätte, um Person und Werk sozial- und mediengeschichtlich entsprechend einordnen zu können. Zumal ja schon einschlägige Veröffentlichungen vorliegen, die dies nicht geleistet haben.

Erwähnte Literatur
Trude Fleischmann. Fotografien 1918 – 1938, Vorwort: Carl Aigner, Text: Anna Auer, Ausstellungskatalog Galerie Faber, Wien: Galerie Faber, 1988
Germaine Krull, Der Akt. Zwanzig photographische Aufnahmen weiblicher Körper nach der Natur, Mit Wanda Debschitz-Kunowski und Josef Pécsi, Dachau: Einhorn, 1918
Helene Littmann, „Die Frau als Photographin“, in: Photo-Sport. Moderne Monatshefte für Freunde der Kamerakunst, 4. Jg., 1908, S. 21-22, hier S. 21.
Hans Schreiber, Trude Fleischmann, Fotografin in Wien 1918 – 1938, Wien: Wirtschafts-Trend Zeitschriften-Verlagsges. m.b.H., 1990

Wenn nicht anders erwähnt, handelt es sich bei den Abbildungen um Wiedergaben aus der besprochenen Veröffentlichung.

Februar 2011

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© Timm Starl 2011

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