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Fotokritik

 

Timm Starl
Mit Wäscheklammer und Knetmasse
Arbeitsweisen deutscher Fotografen

Bilder machen
Fotografie als Praxis
hrsg. von Bertram Kaschek, Jürgen Müller und Wilfried Wiegand
In Zusammenarbeit mit Jens Bove
Ausstellungskatalog Universitätssammlungen Kunst + Technik in der Altana Galerie
Dresden 2010
25 x 19,4 cm, 148 S., 113 Abb., davon 23 in Farbe
Broschiert
€ 15,-

„Bilder machen. Fotografie als Praxis“ klingt vielversprechend, und wenn im Einführungstext von der „Poesie des Machens“ (8) die Rede ist, so verbinden sich damit Vorstellungen von einem unüblichen Zugang zu fotografischen Arbeitsweisen, von andersgearteten Darstellungen der Tätigkeit von Fotografen und Fotografinnen. Man denkt beispielsweise an das Aufkommen und Verfolgen einer Bildidee oder an die Gegenüberstellung unterschiedlicher Vorgehensweisen bei der Realisierung ähnlicher Projekte und anderes mehr. Doch die Herausgeber der Ausstellungspublikation meinten, „der schier unerschöpfliche Bilderreichtum der [Deutschen] Fotothek“ (9) in Dresden mit „über 3 Mio. Fotografien“ (5) würde bereits eine angemessene Darstellung erfahren, wenn weitgehend unbekanntes Bildmaterial vorgeführt und die „Vielfalt fotografischer Praktiken“ (9) durch die exemplarische Herausstellung diverser Anwendungen im 20. Jahrhundert deutlich gemacht wird. Dies ist mit den elf Beiträgen durchaus gelungen, wobei allerdings hinter der prosaischen Herangehensweise, die die meisten fotohistorischen Analysen auszeichnet, jeder Gedanke an eine „Poesie des Machens“ zurücktreten musste.
           Die Fotografin Evelyn Richter, der die Publikation zum 80. Geburtstag gewidmet ist, stellt sich tapfer den teilweise etwas einfältigen Fragen des Mitherausgebers Bertram Kaschek. Neben kurzen Antworten auf Fragen wie „Was lieben Sie an der fotografischen Praxis ganz besonders?“ (13) berichtet sie von den Widrigkeiten bei der Arbeit an zwei Buchprojekten und dem arroganten Umgang der DDR-Verlage mit Herausgebern und Autoren.

 

Christian Borchert: Porträt Evelyn Richter, um 1975 Christian Borchert: Porträt Evelyn Richter, um 1975 (13)

 

          Jürgen Müller stellt „Überlegungen zu einigen Selbstbildnissen“ (21), die zwischen 1917 und 1996 entstanden sind, an. Dabei entdeckt er in jedem Detail ein gestalterisches Kalkül, stellt jedoch keine Bezüge zur Außenwelt her, weder zu den Bildlösungen von Kollegen noch zu den gesellschaftlichen Gegebenheiten der Zeit. So entgeht ihm unter anderem bei einem „Selbstbildnis in einer Christbaumkugel“ (30) von 1932, die er als „kuriose Spiegelung“ (29) abtut, dass solche Darstellungen sich bereits in den 1920er Jahren einiger Beliebtheit – nicht zuletzt unter Mitgliedern des Bauhauses – erfreut hatten.
          Wolfgang Hesse beleuchtet die Tätigkeit „der kommunistischen Amateure Kurt Beck und Erich Meinhold“ (55), eines Werkzeugmachers und eines Tischlers, die 1930 das ländliche Dasein im Westerzgebirge fotografiert haben. Mit der Veröffentlichung in der Arbeiter Illustrierten Zeitung (A-I-Z) wurde ein politisches Zusammengehen von Arbeitern und Kleinbauern beschworen, wozu es nicht kommen sollte. Was nicht thematisiert wird, aber auffällt: Die Ansichten der sogenannten Arbeiterfotografen von mähenden Bauern und Knechten unterscheiden sich nicht von der Produktion der kunstsinnigen Amateurfotografie seit der Jahrhundertwende und der ‘bodenständigen’ Heimatfotografie, wie sie seit den 1920er Jahren verstanden wurde.
          Ulrike Keppler-Sieber und Jens Bove greifen das Wirken zweier Bordfotografen auf, die den Passagieren auf Vergnügungsdampfern zu Diensten gewesen sind, daneben aber an den Zielorten die einheimische Bevölkerung fotografiert haben. Deren „Bilder des Fremden“ (69) werden den Aufnahmen des Forschungsreisenden und Filmers Hans Schomburgk nachgestellt, die trotz des wissenschaftlichen Anspruchs ebenso wenig frei sind von jenen inszenatorischen Stereotypen, mit denen europäische Fotografen anderen Ethnien begegnen.
          Frank Pawella beschreibt die Tätigkeit eines Industriefotografen in der DDR der 1960er bis 80er Jahre, der ein günstiges Bild vom „Aufbau des Sozialismus“ (88) zeichnen sollte. Er habe sich bemüht, wird ihm attestiert, „ein möglichst differenziertes Bild der Arbeit jenseits üblicher Pathosformeln“ (85) zu zeichnen, was allerdings die dem Text beigegebenen Illustrationen nicht erkennen lassen.

 

Anonym: „Dresden - Interims-brückenbau der Augustusbrücke (Baustand 26. August 1907) Anonym: „Dresden - Interims-brückenbau der Augustusbrücke (Baustand 26. August 1907)“, Postkarte (97)

 

           Drei Beiträge sind Ereignissen in Dresden gewidmet. Katja Hofmann unersucht „100 Jahre Dresdener Elbquerungen auf fotografischen Ansichtskarten“, beginnend beim Neubau der Augustusbrücke ab 1907 bis zu den Aktionen um die Waldschlößchenbrücke ab 2007. Der Beitrag streift eine Vielzahl von Gesichtspunkten: die massenmedialen Erscheinungen der illustrierten Postkarte, die Interessen von privaten und verstaatlichten Verlagen, die Inszenierungen technischer Leistungen. Einmal mehr offenbart sich, welch ergiebige Quellen illustrierte Postkarten abgeben, wenn sie mit kulturhistorischen Fragen konfrontiert werden.
           Gilbert Lupfer sieht „[d]ie neue Prager Straße in Fotografien der 1960er und 1970er Jahre“ (109) und stellt fest, dass die Anlage in den Bildern gleichermaßen als moderne Einkaufsstraße wie als idyllischer Platz inszeniert worden ist. Was nebenbei deutlich macht, dass die Städtewerbung seit jeher und bis heute mit denselben Mitteln arbeitet, indem die ‘kalten’ Bilder des Fortschritts mit den heimeligen der Idylle kombiniert werden.
           Paul Kaiser besucht die „sowjetische Fotoausstellung ‘UdSSR 50’ 1973 in Dresden“ (121) sowie weitere sowjetische Veranstaltungen und verfolgt das zunehmende Desinteresse der Bevölkerung an dieserart Propagandaschauen.

 

Christian Borchert: Selbstporträt in Spiegelschranktür, 1976 Christian Borchert: Selbstporträt in Spiegelschranktür, 1976 (139)

 

           Bertram Kaschek stellt Selbstinszenierungen von Christian Borchert aus den Jahren 1974 und 1976 vor, darunter einen Kontaktbogen mit 41 Bildern. Weil der Fotograf eine der Aufnahmen für einen Faltprospekt zu seiner ersten Einzelausstellung ausgewählt hat, können wir den Prozess der Bildfindung gut verfolgen. Es ist aber nicht leicht nachzuvollziehen, weshalb die Entscheidung gerade für diese eine Lösung gefallen ist, auch wenn Kaschek eine Erklärung anbietet.
           Zwei Texte heben sich aus ganz unterschiedlichen Gründen von den übrigen ab. Wilfried Wiegand setzt sich mit einer Arbeit des bekannten Porträtfotografen Hugo Erfurth aus der Zeit um 1920 auseinander, nämlich mit einem Ausschnitt der „Mona Lisa als Papiernegativ“ (40). Nach einem kurzen Ausflug in die Geschichte der fotografischen Kunstreproduktion, überlegt der Autor, was den Fotografen zu dieser großformatigen Wiedergabe bewogen haben könnte. Wollte er das Negativ für einen Edeldruck verwenden, bei dem Farbtöne hinzugesetzt werden und Unschärfe ins Spiel gebracht wird? Hat er das Gemälde selbst aufgenommen oder ein Positiv abfotografiert? Weshalb ist lediglich der Kopf wiedergegeben worden? Antworten finden sich nicht, vielleicht aber sind es die falschen Fragen, die das Bild lediglich im Kontext des sonstigen Schaffens des Porträtisten sehen wollen. Möglicherweise versuchte der Fotograf sich an etwas Neuem, suchte nach „einer neuen ästhetischen Erfahrung“? Zwar könne „man einwenden, dass Erfurth eine derartige Betrachtungsweise fremd gewesen wäre. Aber ist das so sicher?“ (44) Wiegand erweist sich als Historiker, der nicht Gewissheiten vorsetzt, aber uns mit anderen Augen auf die Geschichte der Bilder blicken lässt.

 

Karl Blossfeldt: „Ziegelrote Brennwinde“, o.J. Karl Blossfeldt: „Ziegelrote Brennwinde“, o.J. (49)

 

           Agnes Matthias löst das Versprechen des Titels am weitesten ein und bedient sich einer so simplen wie aufschlussreichen Methode. Aus den rund 6.000 Pflanzenfotos von Karl Blossfeldt, die zwischen 1895 und 1932 entstanden sind, werden fünf vorgeführt, und zwar jeweils als Wiedergaben der ganzen Platte. Somit ist zu erkennen, wie die Objekte für die Aufnahmen arrangiert worden sind: mit Knetmasse auf einer Glasplatte fixiert, an die ein einfarbiger Hintergrund aus Papier mit Wäscheklammern befestigt worden ist. Fotografiert wurde mit diversen selbstgebauten Holzkameras in unterschiedlichen Formaten, die jeweils in horizontale oder vertikale Stellung gebracht wurden. Wie die Apparatur kippt gewissermaßen unser Blick, und man merkt, dass es häufig kein Oben und Unten gibt, zumal es sich ja um Präparate handelt und nicht die tatsächliche Situation in der Natur festgehalten worden ist. Was in den Wiedergaben in Büchern und Ausstellungskatalogen als „Urformen der Kunst“, so der Titel einer Veröffentlichung von 1928, angeboten wird, erscheint nun als ungewöhnliches Stillleben mit surrealistischem Einschlag.
           Den Band beschließen kürze Ausführungen vom Leiter der Fotothek Jens Bove zu den konservatorischen und archivarischen Aktivitäten des Hauses. Illustriert ist der Text mit einer „Dokumentation des Selbstzersetzungsprozesses eines Zellulosenitrat-Negativs“, der zwischen 2006 und 2008 festgehalten worden ist (144/145). Was wie eine Mahnung anmutet, kann aber auch anderes gelesen werden: als eine Selbstdarstellung des Mediums, das ohne Einwirken von Fotografen und Laboranten Bilder von ganz eigenartigem Reiz hervorzubringen vermag. Auf besondere Weise wird kundgetan, dass der fotografische Prozess nicht mit dem Druck auf den Auslöser oder dem Trocknen des Positivs abgeschlossen ist und zu den Ergebnissen lichtbildnerischer Aktivitäten auch gehört, was sich nicht als Bild erhalten hat.

 

„Dokumentation des Selbstzersetzungsprozesses eines Zellulosenitrat-Negativs (Porträt des Dirigenten Rudolf Neuhaus von Hildegard Jäckel, 1953)
„Dokumentation des Selbstzersetzungsprozesses eines Zellulosenitrat-Negativs (Porträt des Dirigenten Rudolf Neuhaus von Hildegard Jäckel, 1953), aufgenommen am [...] 27.5.2007, 27.10.2008“ (145)

 

Die Abbildungen sind Wiedergaben aus dem besprochenen Katalog.

August 2010

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© Timm Starl 2010

PDF - 325kb

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