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Fotokritik

 

Timm Starl
Schreiben | Fotografieren

Ausstellung
„visuell – virtuell – parallel. SchriftstellerInnen fotografieren“
veranstaltet von FLUSS – NÖ Initiative für Foto- und Medienkunst
Schloss Wolkersdorf: 9. – 30. Mai 2010

Katalog
Visuell virtuell parallel
SchriftstellerInnen fotografieren
Barbara Köhler, Brigitte Falkner, Sabine Scho, Christiane Zintzen, Dieter Sperl,
Petra Coronato, Liesl Ujvary, Ann Cotten, Monika Rinck
Ausstellungskatalog FLUSS – NÖ Initiative für Foto- und Medienkunst
Wolkersdorf 2010
27 x 20,3 cm, 24 Bl., 32 Abb. in Farbe
Broschiert
€ 30,-
Beziehbar über:
Ausstellungskatalog FLUSS – NÖ Initiative für Foto- und Medienkunst, Schlossplatz 2,
A-2120 Wolkersdorf, info@fluss.at

„SchriftstellerInnen fotografieren, weil sie normalerweise schreiben“ – lautete der provokant anmutende Satz, mit dem die Kuratorin Liesl Ujvary ihre Eröffnungsrede einleitete. Doch nur rund 20 Besucher interessierten sich am 8. Mai 2010 dafür, dass TextautorInnen gelegentlich das Metier wechseln, den Stift oder Füller weglegen, die Tastatur beiseite schieben und zur Kamera greifen. Immerhin haben es auch Emile Zola und August Strindberg getan, Rolf Dieter Brinkmann und W.G. Sebald ebenso, und Gerhard Roth wie Michael Rutschky praktizieren es nach wie vor. Ihre Neigungen für einzelne Themen waren und sind ebenso unterschiedlich ausgeprägt wie die gestalterischen Mittel, derer man sich bediente und bedient. Manch einer fotografierte zum privaten Vergnügen, andere ließen die Bilder in ihre Texte einfließen, die Jüngeren stellen ihre fotografischen Werke gelegentlich aus. Die wenigsten haben sich zu ihren fotografischen Exkursen geäußert, vor allem nicht, welche Rolle diese gegenüber dem Schreiben spielen würden.
           Es drängen sich einige Fragen auf: Finden sich Entsprechungen – welcher Art auch immer – in den Bildern, die ein Text hervorbringt, und solchen, die mittels einer Apparatur kreiert werden? Auch welche Weise formuliert jemand seine Anliegen, wenn mit unterschiedlichen Medien operiert wird? Fotografieren SchriftstellerInnen anders als Knipser, Berufslichtbildner oder Fotokünstler? Ich bin nach Wolkersdorf gefahren in der Hoffnung, diesbezüglich vielleicht einige Aufschlüsse zu erhalten. Enttäuscht hat mich zunächst, dass im Katalog nur zwei Texte enthalten sind, die sich konkret auf die abgebildeten Fotos oder die Exponate beziehen. Nicht zu erwarten war, dass sich die fotografischen Hervorbringungen von schreibenden KünstlerInnen, die ihre Arbeiten in Ausstellungen präsentieren, wesentlich von jenen unterscheiden, die von FotografInnen mit Kunstanspruch vorgelegt werden.

 

Barbara Köhler: „Das Blaue vom Himmel“, aus der Fotoserie „Duisburg“, ohne Jahresangabe Christiane Zintzen: o.T., aus der Fotoserie „Nachtstation, AKH Wien, Psychiatrie“, Sommer 2007
Barbara Köhler: „Das Blaue vom Himmel“, aus der Fotoserie „Duisburg“, ohne Jahresangabe Christiane Zintzen: o.T., aus der Fotoserie „Nachtstation, AKH Wien, Psychiatrie“, Sommer 2007

 

          Martin Breindl hat im Katalog, der bereits mehrere Wochen vorgelegen hat, dieselben Fragen gestellt. Und er fand Antworten: „Die Arbeiten der hier versammelten SchriftstellerInnen umkreisen die gleichen Themen, wie Natur, Urbanität, Medienkritik und Virtual Reality. Auch die gewählten Motive, Einstellungen und Techniken unterscheiden sich nicht wesentlich von Produktionen ihrer KollegInnen aus der fotografischen Zunft.“ Dem kann man durchaus zustimmen. Doch Bedenken habe ich, als der Autor „zwischen den Zeilen“ lesend „das Besondere“ doch noch zu entdecken glaubt: „Wenn SchriftstellerInnen fotografieren, schreiben sie ihre Bilder metaphorisch. Es sind in gewissem Sinne absolute Metaphern, nicht absichtsvoll gewählt, sondern mehr oder weniger zufällig entstanden im und durch den Akt des Fotografierens selbst.“ Nun gibt es meines Erachtens in keinem Sinne eine „absolute Metapher“, denn eine Metapher bezieht sich immer auf ein Anderes und kann niemals für sich stehen.
            Doch Breindl bringt – wenn auch mit einem eigenwilligen Schlenker – den Zufall ins Spiel. Nun macht ohnehin das Aleatorische, das jede Fotografie auszeichnet, ihren besonderen Reiz aus, weil neben den Abstraktionen, in die das Vorgefundene bildlich überführt wird, damit ein Funken des Wirklichen den Bildern anhaftet. Denn der Zufall ist es doch, der Tag für Tag entscheidet, worauf unser Blick fällt und welche Gedanken aufkommen, woran wir uns erinnern und welche Vorstellungen wir entwickeln. Der Zufall ist der Gefährte des Augenblicks, dem er sein Entstehen verdankt. Und beides ist der Sprache nicht zugänglich: Den Augenblick erreicht sie niemals, denn sobald sie ihn schriftlich – oder auch nur gedanklich – fassen will, ist er längst vorbei. Und das Schreiben kennt den Zufall nicht, weil es immer von der Absicht geleitet wird – nichts findet zufällig Eingang in einen Text. Nur die Fotografie beherrscht beide auf besondere Weise, indem sie alles festhält, was sich im Augenblick der Belichtung vor der Linse befindet, also auch all das, was an Details gar nicht registriert werden konnte, also zufällig ins Bild geraten ist.

 

Petra Coronato: aus der Serie „Berlin Diorama“ innerhalb des Projekts „The Poetry of Document“, 2006 oder später Liesl Ujvary: o.T., Tiergarten Schönbrunn, aus der Serie „Interessante Produktionen“, ohne Jahresangabe
Petra Coronato: aus der Serie „Berlin Diorama“ innerhalb des Projekts „The Poetry of Document“, 2006 oder später Liesl Ujvary: o.T., Tiergarten Schönbrunn, aus der Serie „Interessante Produktionen“, ohne Jahresangabe

 

           Christiane Zintzen, die mit einer Serie in der Ausstellung vertreten ist, hat mir in einem Gespräch kurz vor der Eröffnung einen Weg gewiesen. Sie sprach vom „Schlauch der Sprache“, in den man durch den Zwang der Linearität geworfen wird, der keinen Ausweg, nur ein Vorwärts kennt. Beim Fotografieren befände man sich in einer anderen Situation: ohne die Enge und Starrheit der Regeln, die Schrift und Formulierung vorgeben. Ich sehe es nun so: Jedes fotografische Bild ist zugleich Inszenierung und Aufzeichnung einer Gegebenheit – als würde mit einem Stichwort alles gesagt und beschrieben sein. Und jeder Aufnahme folgt ein Absatz, der einen neuen Gedanken – das nächste Foto – ankündigt. Diese Bilder werden zwar nacheinander vorgebracht, wobei die Reihenfolge, in der sie später aufgegriffen werden, nicht zwingend ist. Vor allem aber steht jedes Bild für sich: alles sagend, was es im Augenblick zu sagen gegeben hat, alles detailreich aufgezeichnet, wenn auch vielfach interpretierbar. Sprache ist demgegenüber langatmiger und ungenauer.
            Ausstellung und Katalog führen zu solcherart Überlegungen, ungeachtet des Bildmaterials, das angeboten wird, und der kurzen Texte der SchriftstellerInnen, die in der Veröffentlichung jeweils drei Bildseiten beigegeben sind. Ausgestellt wurden – auf vier Räume verteilt und ansprechend arrangiert – 13 Arbeiten aus den vergangenen zehn Jahren mit etwa 170 einzelnen Bildern von neun KünstlerInnen, die zwischen 30 und 70 Jahre alt sind und in Österreich und Deutschland leben. Die meisten Werke haben dokumentarischen Einschlag, ob sie die Stille beschwören (Köhler, Rinck), sich auf Unschärfen (Sperl) oder Verzerrungen (Falkner) stützen, Durchblicke gewähren (Zintzen) oder sich flächig darbieten (Coronato), das Archaische inszenieren (Cotten) oder mit Sinnlichkeit auftrumpfen (Scho, Ujvary). Und wie gehabt: Man müsste wohl mehr über die KünstlerInnen wissen und von ihnen gelesen haben, mit ihnen sprechen und mehr Fotos ansehen, um zu verstehen, was sie meinen mit den Worten und Bildern, die sich gegenüberstehen, aber nicht berühren, so nahe wie fremd.

Die Abbildungen sind Wiedergaben aus dem besprochenen Katalog.

Mai 2010

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© Timm Starl 2010

PDF - 139kb

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