Fotokritik |
Timm Starl
„Trotzdem wurde auch ich: Fotograf“
Gottfried Jäger
Ernst Jäger. Fotograf
Ausstellungskatalog Stadthalle Burg
Burg: Dorise, 2009
29,8 x 23 cm, 72 S., 58 Abb. in Farbe
Gebunden
€ 18,60
Die erste Textseite enthält ein Grußwort des Oberbürgermeisters von Burg bei Magdeburg und verheißt nichts Gutes: Der Protagonist habe „keine Alternative zur Vernichtung seines Archivs“ gesehen (5). Was mag das für eine Persönlichkeit gewesen sein, die sich von ihrem Lebenswerk trennt? Welche Umstände müssen eingetreten sein, dass ein Fotograf all jene Bilder preisgibt, die von einem über 60jährigen Schaffen zeugen? Konnte er sich mit seiner Vergangenheit nicht abfinden?
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Stefan Moses: „Schaukästen Foto Jäger, Burg“, 18. März 1990, 28 x 19 cm (S. 9) |
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Ernst Jäger ist am 11. Mai 1903 in Grunbach im Remstal bei Stuttgart geboren. Er beginnt als Amateur zu fotografieren, findet Gefallen daran und beginnt 1926 eine Lehre in dem bekannten Atelier von Leo Gundermann in Würzburg. Nach Erhalt des Gesellenbriefes 1929 wirkt er in Betrieben in Bielefeld, Köln und am Starnberger See, zuletzt als Porträtist in Horsens auf Jütland. Im Herbst 1932 eröffnet er ein „Atelier für neuzeitliche Kamera-Bildnisse“ in Burg bei Magdeburg und führt es bis 1992. Wenn auch der Schwerpunkt auf dem Porträtsektor liegen wird, übernimmt Jäger nach und nach die üblichen Agenden eines Fotografen in einer mittelgroßen Stadt: Ansichten von Bauwerken, Anlagen und Straßen sowie der Umgebung, Werksreportagen, Reproduktionen und Vergrößerungen, Hochzeits- und Passbilder. Am 23. Februar 1998 stirbt Ernst Jäger.
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Ernst Jäger: „Porträt Frl. Friedrich“, 1938, Bromöldruck, Bild 38 x 24,5 cm, auf Karton, 42 x 30 cm (S. 37) |
Ernst Jäger: „Kinderporträt“, 1980er Jahre, Bild 38,5 x 28,6 cm, auf Pappe, 40 x 29,8 cm (S. 60) |
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Es ist der nicht ungewöhnliche Werdegang eines Studioinhabers, der ambitioniert beginnt und zunächst noch Bildnisse und Landschaften als Bromöldrucke und -umdrucke anbietet, sich also Zeit für die Einfärbung und Überarbeitung der Aufnahmen nimmt. Doch die existentiellen Erfordernisse verlangen, insbesondere nach dem Zweiten Weltkrieg, nicht nur eine Diversifizierung des Angebots, sondern auch die Übernahme möglichst vieler Aufträge, die nur mit Routine zu bewältigen sind. Nicht selten habe er „[a]n manchen Wochenenden [...] nahezu zwanzig Hochzeiten zu fotografieren“ gehabt (8). So werden die Modelle zunehmend in ähnlichen Posen platziert, sieht ein Brautpaar wie das andere aus, sitzen die jungen Eltern glücklich lächelnd neben ihren Sprösslingen. Trotzdem wirken die Arrangements – gegenüber den angestrengten Inszenierungen, die heute in den Auslagen der Fotostudios zur Schau gestellt werden – geradezu ‘natürlich’ und ‘normal’.
Aber kennt nicht jede Epoche ihre Normalität? Auch wenn die Auswahl für die ersten Jahre der Tätigkeit wohl eher die besonderen Stücke vorlegt, zeigt sie für die Nachkriegszeit die gängige Produktion eines Ateliers, das auf zahlreiche Kundschaft angewiesen ist. Dabei kann man, was die Gestaltung betrifft, feststellen: Es bestehen keine Unterschiede zwischen den Atelierporträts, die in der DDR entstanden sind, und jenen, die in denselben Jahren westdeutsche Kollegen geliefert haben. Die bürgerlichen Vorstellungen des 19. Jahrhunderts von Individualität, Partnerschaft und Familie, was deren bildliche Selbstdarstellung und das Auftreten in der Öffentlichkeit angeht, haben sich ohne Rücksicht auf die herrschenden Gesellschaftssysteme nahezu unverändert erhalten. So wenig das einzelne Bildnis etwas über seine Modelle auszudrücken vermag, so sehr lässt das soziale Porträt Beharrlichkeiten erkennen und Entwicklungen nachvollziehen.
Gottfried Jäger, Fotokünstler und -theoretiker, Fotopublizist und Organisator zahlreicher Veranstaltungen, Jahrgang 1937, hat eine Biografie vorgelegt, die dem Vater in jeder Weise gerecht wird. Dessen Karriere wird als eine durchschnittliche präsentiert und entsprechend illustriert. Gleichwohl ist manche Besonderheit gewürdigt und das „Massenfoto“ (8) nicht versteckt worden. Auch die Gestaltung des Bandes, vom Enkel Markus Jäger verantwortet, kommentiert auf seine Weise das Schaffen Ernst Jägers: Die Abbildungen sind, unabhängig von ihrem Format, sämtliche auf Mitte gesetzt – sie zeichnen dieserart den Weg des Fotografen: geradlinig, unauffällig, mit kleinen Höhen und Tiefen.
Nachdem 1992 das Atelier geschlossen wurde und sich kein Nachfolger gefunden hat und auch keine öffentliche Stelle die Bestände übernehmen wollte, ließ der Besitzer das „Bildarchiv mit tausenden Glas- und Filmnegativen sowie historische Apparate und Geräte [...] industriell“ entsorgen. „In Bezug auf seine Porträts und die über Jahre angesammelten Bildtafeln für die Schaukästen entschied der Fotograf, dass sie keinen anderen als ihren ursprünglichen, nämlich privaten Zwecken dienen und zugeführt werden sollten. So waren sie bestellt und ausgeführt worden. Ernst Jäger sah darin eine Verpflichtung gegenüber seiner Kundschaft. Daher zerstörte er sie mit eigener Hand. Anfangs zerkratzte er die Bildtafeln, dann versuchte er, sie zu übermalen [...] Später weichte er die Tafeln tagelang im Wasser seiner Badewanne auf. Sein Werk ging – im wahrsten Sinne des Wortes – unter.“ (12). Die Art und Weise der Vernichtung und ihre sukzessive Steigerung lassen etwas von den Kämpfen ahnen, die Jäger mit sich auszufechten hatte.
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Ernst Jäger: „Bildzerstörung, 1992. Fragmente eines Tableaus, 1970er/1980er Jahre“ (S. 66) |
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Selbst in der Beschreibung dieses traurigen Endes eines Lebens verfällt der Sohn nicht in sentimentale Anteilnahme oder bewegten Pathos. Wie er auch durchwegs die nötige Distanz bewahrt, um den Lebensweg des Vaters plausibel zu machen. Was nicht bedeutet, dass die Zärtlichkeit nicht zu spüren ist, die hinter den Worten steht. Eine so aufrichtige wie zurückhaltende Vorstellung und deshalb ein sehr sympathisches Buch.
Die Abbildungen sind Wiedergaben aus dem besprochenen Band.
Jänner 2010
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© Timm Starl 2010
PDF - 216kb
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