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Fotokritik

 

Timm Starl
Licht-Zeichen, Schatten-Figuren, Grau-Werte

 

„die lichtempfindliche schicht – platte oder papier –
ist eine tabula rasa, ein unbeschriebenes blatt,
worauf man mit licht so notieren kann,
wie der maler mit seinen werkzeugen: pinsel und pigment,
auf seiner leinwand souverän arbeitet.“
(László Moholy-Nagy, 1928)

 

Moholy-Nagy
The Photograms. Catalogue raisonné
Ed. by Renate Heyne and Floris M. Neusüss, with Hattula Moholy-Nagy
With texts by Herbert Molderings and Renate Heyne
englisch
Ostfildern: Hatje Cantz, 2009
29,5 x 24,5 cm, 311 (+1) S., 608 Abb. in Farbe und Duplex
Leinen, Schutzumschlag
€ 78,-, CHF 137,-

Um es vorweg zu nehmen: Fotogramme sind keine Fotografien. Gemeinsam ist ihnen nicht mehr als das lichtempfindliche Material, auf dem sich ein Bild abzeichnet. Wesentlich sind die Unterschiede: Dass es keiner Kamera und keiner Linse bedarf, um ein Fotogramm herzustellen. Dass die Objekte in gleicher Größe oder – so sie über Volumen verfügen, also nur ein Teil die fotosensible Schicht berührt – verzerrt wiedergegeben werden. Dass sich jene Seite der Dinge abbildet, die vom Arrangeur abgewandt ist, er also während des Belichtungsvorganges und davor zu sehen bekommt, was keine Spuren im Bild hinterlassen wird. Dass ausschließlich Eingang ins Fotogramm findet, was auf dem Fotopapier platziert wird, wogegen bei Fotografien eine Vielzahl an Details zufällig ins Bild eingehen, weil sie der Fotograf zum Zeitpunkt des Aufnahmevorganges gar nicht wahrgenommen hat. Dass beim Fotogramm eine negative Ansicht das endgültige Bild darstellt. Dass ein Fotogramm keine Richtung kennt, also – entgegen Fotografien – ein Oben und Unten nicht auszumachen ist.
           Es sollte deshalb nicht erstaunen, dass die ersten Fotogramme etwa zwei Jahrzehnte vor der Fotografie entstanden sind, zumal auch keine Apparatur benötigt worden ist. Thomas Wedgwood und Humphrey Davy begannen Ende des 18. Jahrhunderts mit ihren Versuchen und verzeichneten 1802 erste Erfolge, wenn ihnen auch noch nicht die Fixierung ihrer Pflanzenabdrucke gelingen sollte. Und wenn die Wiederentdeckung des Verfahrens und deren Anwendung auf dem Feld künstlerischer Produktion um 1920 durch Zeitgenossen erfolgte, die nichts oder wenig von Fotografie verstanden, so fügt sich diese Tatsache moderat in die Geschichte des Fotogramms. Christian Schad, László Moholy-Nagy und Man Ray waren allesamt Maler, die der dadaistischen Bewegung nahe standen, wobei die beiden zuerst Genannten sich bis dahin niemals fotografisch betätigt hatten. Man Ray erwarb 1914 oder 1915 eine Kamera, verwendete diese aber zunächst lediglich, um eigene Werke, später auch jene von Marcel Duchamp zu reproduzieren; vereinzelte Porträts wurden noch recht dilettantisch angegangen, wie er in seiner Selbstbiografie eingesteht. Seine ersten fotogrammatischen Produkte von 1922 nannte er „Rayographs“, während Schads Hervorbringungen von 1919 später von Tristan Tzara als „Schadografien“ bezeichnet wurden, und Moholy-Nagy die seit 1922 vorgelegten Bilder 1925 bei jenem Namen nannte, der heute noch gebräuchlich ist: „Fotogramme“.

 

    Berta Günther (zugeschrieben): Fotogramm, um 1920 László Moholy-Nagy: Ohne Titel, Berlin 1922/23
Berta Günther (zugeschrieben): Fotogramm, um 1920, 22,17 x 12,3 cm (aus: Lichtbildwerkstatt Loheland. Fotografien einer neuen Generation Weib, hrsg. von Iris Fischer und Eckhardt Köhn, Ausstellungskatalog Bauhaus-Archiv, Berlin 2007, S. 52) László Moholy-Nagy: Ohne Titel, Berlin 1922/23, Fotogramm, 17,7 x 12,8 cm (aus: Moholy-Nagy, The Photograms. Catalogue raisonné, Ed. by Renate Heyne and Floris M. Neusüss, with Hattula Moholy-Nagy, Ostfildern: Hatje Cantz, 2009, S. 63)

      

           Auf solche Arbeiten war er im Sommer 1922 gestoßen, als er mit seiner Frau Lucia – beide ohne fotografische Erfahrungen – die Loheland-Schule in der Rhön besuchte. Die dort lehrende Berta Günther hatte vermutlich schon 1920 Fotogramme von Gräsern, Blüten und Blättern hergestellt. Dieserart Motive fanden seit den 1830er Jahren immer wieder Liebhaber unter den Fotografen, ab den 1890er Jahren wurden in diversen Anleitungen für Amateure die notwendigen Handgriffe beschrieben. Inwieweit Moholy-Nagy solche Veröffentlichungen kannte, ist nicht bekannt. Jedenfalls begann er – nach Berlin heimgekehrt – mit der Anfertigung kleinformatiger Exemplare, von denen einige 1923 in der Zeitschrift Broum veröffentlicht wurden.

 

Man Ray: Tafel 10 in: Les Champs Délicieux, 1922 (aus: Floris M. Neusüss in Zusammenarbeit mit Renate Heyne, Das Fotogramm in der Kunst des 20. Jahrhunderts. Die andere Seite der Bilder – Fotografie ohne Kamera, Köln: DuMont Buchverlag, 1990, S. 75) László Moholy-Nagy: Ohne Titel, Dessau 1927, Fotogramm, 23,9 x 18 cm (aus: Moholy-Nagy, The Photograms. Catalogue raisonné, Ed. by Renate Heyne and Floris M. Neusüss, with Hattula Moholy-Nagy, Ostfildern: Hatje Cantz, 2009, S. 165)

 

          Im Gegensatz zu Man Ray, der für seine Rayogramme Alltagsgegenstände verwendete, die er mystifizierte und poetisch verklärte, ging es Moholy-Nagy um Lichtkompositionen – man könnte auch sagen: um die Inszenierung von Licht. Bis 1946 beschäftigte ihn immer wieder die Frage der Gestaltung mit Licht, der er experimentell mit Fotogrammen und intellektuell in Texten nachging. In einem Aufsatz von 1928 formulierte er sein Credo: „fotografie ist gestaltung des lichtes. [...] das wesentliche werkzeug des fotografischen verfahrens ist nicht die kamera, sondern die lichtempfindliche Schicht. [...] sie [die fotogramme; T.S.] ergeben eine sublimierte, strahlende, fast stofflose wirkung. die möglichkeiten der arbeit mit licht werden dabei unvergleichlich vollkommener aufgeschlossen als bei allen früheren werken der malerei. Die kontrastbeziehungen der verschiedenen abgestuften, ineinander übergehenden grauwerte des tiefsten schwarz und des hellsten weiß schaffen eine durchdringende leuchtwirkung, die ohne gegenständliche bedeutung, als unmittelbares optisches erlebnis von einem jeden aufgenommen werden kann.“
            Entsprechend zeigen die Fotogramme vornehmlich abstrakte Gebilde, lässt sich oftmals nicht erkennen, mit welchen Gegenständen der Künstler operiert hat. Wenn er während des Lichteinfalls ihre Position oder jene der Lichtquelle veränderte, lösten sich die Körperformen auf. Die Dinge traten hinter die Wirkung zurück, die das Licht, das auf sie fällt und an ihnen vorbeigeht, hervorbringt. In gewisser Weise opponiert das Fotogramm gegen die Präzision der Fotografie, die alles, was ihr vor die Linse gerät, möglichst deutlich erkennbar darstellen will. Während in den Fotogrammen von Moholy-Nagy die Objekte zwar während der Belichtung im Vordergrund stehen, aber letztlich bloß die Folie abgeben für die Lichteffekte, die durch ihre Beschaffenheit und ihre Position hervorgerufen werden.
            Mit der vorliegenden Veröffentlichung lässt sich an den gut 430 Fotogrammen, die chronologisch dargeboten werden, ausmachen, wie Moholy-Nagy über 20 Jahre mit Licht ‘gemalt’ hat. Eingerahmt wird der Bildteil von kundigen Interpretationen und Erläuterungen von Renate Heyne, Herbert Molderings und Floris M. Neusüss. Es ist das nämliche Personal, das bereits in dem Katalog zur Ausstellung im Folkwang Museum Essen 1996 die Fotogramme des Künstlers vorgestellt hat. Während damals eine Auswahl von fünf einschlägigen Texten des Künstlers aus den Jahren 1922 bis 1937 wiedergegeben worden sind, kommt er diesmal bedauerlicherweise nicht zu Wort – abgesehen von Zitaten, mit denen Autorin und Autoren ihre Einschätzungen ausstatten. So fehlt dieser sorgsam gestalteten und ausgezeichnet gedruckten Sammlung, das Denken, das die Bilder angestoßen, begleitet und reflektiert hat.

 

Werner Schnelle
Fotografien
Mit Texten / Texts by Kurt Kaindl und Margit Zuckriegl
Salzburg: Fotohof Edition, 2009 (Bd. 126)
27,2 x 20,7 cm, 160 S., 88 Abb. in Farbe
Leinen
€ 33,-

Um es vorweg zu nehmen: Werner Schnelle nennt alles, was er macht, „Fotografien“ – ob Foto-, Lumino- oder Chemigramme, ob ohne oder mit Kamera hervorgebracht, ob im Negativ bearbeitet oder solarisiert, ob mit Spiegel gestaltet oder doppelt belichtet. Auch ist ihm jedes Objekt recht, um es ins Negative oder Abstrakte zu setzen: Spitzen und Kugel, Trichter und Lampen, Farne und Küchenreibe, Gitter und Ei. Nicht anders gelten seine Neigungen ebenso dem Stereotypen wie der Unregelmäßigkeit, dem Anschein wie dem Rätselhaften, dem knalligen Weiß wie dem tiefschwarzen Dunkel, der Unschärfe wie der exakten Abgrenzung.
            Doch was zunächst wie die orientierungslose Suche nach Kontrasten, Lichtspuren, figuralen Elementen anmutet, hat einen gemeinsamen Nenner. Schnelle referiert über die Transparenz, jedoch nicht allein im Sinne von Durchsicht und nicht, um mit dem Übereinander mehrerer luzider Schichten besondere Räume zu entwerfen. Ihn interessieren vor allem die Übergänge, die Ränder, wenn helle und dunkle Partien nach und nach ineinander übergehen, wenn die Gestalt sich zu verändern beginnt, sich zurückzieht oder aufbläht. Als ob er Kurt Tucholskys Frage nach der Entschiedenheit und Durchlässigkeit gewisser Grenzen – 1931 formuliert – ins Fotografische übertragen wollte: „Löcher, die sich vermählen, werden ein Eines, einer der sonderbarsten Vorgänge unter denen, die sich nicht denken lassen. Trenne die Scheidewand zwischen zwei Löchern: gehört dann der rechte Rand zum linken Loch? Oder der linke zum rechten? Oder jeder zu sich? Oder beide zu beiden?“

 

Werner Schnelle: „Study with objects # 1. 1996“ (aus: Werner Schnelle, Fotografien, Salzburg: Fotohof Edition, 2009 [Bd. 126], S. 41) Werner Schnelle: „Light work # 17. 2000“ (aus: Werner Schnelle, Fotografien, Salzburg: Fotohof Edition, 2009 [Bd. 126], S. 87)

 

            Keine der „Fotografien“, die von 1988 bis 2004 entstanden sind, kennt den scharfen Kontrast, in jedem Bild geschieht ein sukzessives Auftauchen beziehungsweise Auflösen einer Figur, einer Kontur, eines Schattens, einer Lichtpartie. Helle Striche werden immer dichter, bis die Konzentration das Weiß zum Leuchten bringt, oder dunkle Striche vereinigen sich mehr und mehr, beinahe bis zum völligen Schwarz. Oder wenn in den Chemigrammen die Intensität der geschütteten Flüssigkeit abnimmt, verläuft sich die Figur ins Nichts. Zwar gilt die Aufmerksamkeit des Künstlers der Transparenz, doch das Thema heißt: das Verschwinden von Erscheinungen und wie dabei neue Bilder entstehen. Es ist ein Befund des Fotografischen, dem Schnelle nachspürt. Er selbst tritt dabei sozusagen aus dem Bild, wenn er in dem solarisierten Autoporträt von 2009 am Ende des Bandes nur undeutlich zu erkennen ist und überdies jegliche biografische Angaben zur Person verweigert.

Erwähnte Literatur

Man Ray, Selbstporträt. Eine illustrierte Autobiographie [Man Ray – Selfportrait, 1963], Aus dem Amerikanischen übertragen von Reinhard Kaiser, München: Schirmer/Mosel, 1983
László Moholy-Nagy, „Fotografie ist Lichtgestaltung“ [1928], in: Wechsel Wirkungen. Ungarische Avantgarde in der Weimarer Republik, Ausstellungskatalog Neue Galerie Kassel, Marburg: Jonas, 1986, S. 490-492, hier S. 491, 490
László Moholy-Nagy, Fotogramme 1922–1943, Ausstellungskatalog Museum Folkwang, Essen 1996
Kurt Tucholsky, „Zur soziologischen Psychologie der Löcher“, in: ders., Lerne lachen ohne zu weinen. Auswahl 1928 bis 1929, Berlin: Volk und Welt, 1972 (Kurt Tucholsky, Bd. 5), S. 235-237

Jänner 2010

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© Timm Starl 2010

PDF - 245kb

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