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Fotokritik

 

Timm Starl
New York in Wien
Ausstellung
„Big City. New York Street Photography“
Wien, Wien Museum, Karlsplatz, 12. März – 24. Mai 2009

Das Wien Museum hat – obgleich wenige Schritte entfernt in der Albertina mit Michael Ponstingl ein profunder Kenner der Geschichte der Stadt- und Straßenfotografie tätig ist – den umtriebigen Gilles Mora als Kurator engagiert. Der Franzose wurde als „weltweit anerkannter Fachmann der amerikanischen Fotografie“ erkannt, wie es in der Pressinformation heißt. Nun reiste der Erwählte in die USA, war aber anscheinend in Eile oder wollte es sich leicht machen, denn er besuchte mit Vorliebe Galerien und bediente sich aus deren Fundus. Solche Leihgaben sind am einfachsten zu bekommen, zumal es sich ja um Waren handelt, die zu erwerben sind und in Ausstellungen auf das Angebot ihrer Vermittler oder zeitweiligen Besitzer hinweisen. Nachteilig bei einer solchen Vorgangsweise wirkt sich allerdings aus, dass nicht immer die interessantesten Exemplare aus den entscheidenden Perioden zur Verfügung stehen oder manche Stücke sich überhaupt nicht im Sortiment des Galeristen befinden.
            Dies könnte durchaus der Fall gewesen sein, bedenkt man, dass beispielsweise von Helen Levitt nicht die wichtigen Straßenszenen mit Kindern aus den ausgehenden 1930er Jahren in der Ausstellung präsent sind, sondern spätere Farbaufnahmen aus den 1970er/80er Jahren. Das wäre zunächst nicht schlimm, weil Levitt über Jahrzehnte das Thema verfolgt und durchgehend bemerkenswerte Beiträge geliefert hat, man sich also für eine Produktionsphase entscheiden musste. In dieser frühen Periode haben allerdings auch andere Bildautoren und -autorinnen ausgezeichnete Arbeiten geschaffen, allen voran Berenice Abbott während der gesamten 1930er Jahre und unter anderem Walter Rosenblum, die jedoch beide in der Schau nicht vertreten sind Sie alle waren nicht zuletzt von den Filmen der russischen Avantgardisten – darunter Sergej Eisenstein und Wsewolod Pudowkin – angeregt worden, die in der ersten Hälfte des Jahrzehnts ihre Produkte in New York vorführten und nicht nur die filmenden Kollegen beeindruckten.
            In dieser Dekade begann die Ära der amerikanischen Street Photography – jedenfalls wenn man die fotokünstlerische Auseinandersetzung mit dem Sujet betrachtet, ansonsten kennt man Straßenfotografie bereits im 19. Jahrhundert –, und nicht erst in den 1940er Jahren, wie Gilles Mora seinem Auftraggeber und am 11. März den Presseleuten weismachen wollte. Indem der Anfang zu spät gesetzt wird, fehlt der Ausstellung das Fundament und sie steht auf wackeligen Beinen. Dieser Eindruck verstärkt sich noch durch das Fehlen weiterer Positionen, von denen ich nur noch zwei namentlich nennen möchte. Nicht berücksichtigt wurde Andreas Feininger, der in den 1940er Jahren ein umfassendes und eindrucksvolles Porträt von New York gezeichnet hat. Dazu gehört unter anderem eine Serie mit Szenen vor kleinen Geschäften von Emigranten: vor dem griechischen Kaffeehaus, dem syrischen Lebensmittelladen oder dem Rummel vor dem jüdischen Textilladen. Nicht vertreten ist außerdem Lisette Model, gleichfalls aus Europa emigriert, die Anfang der 1940er Jahre auf New Yorks Straßen die Schritte der Passanten beobachtete. Zu sehen sind Partien vom Knie abwärts, kopflose Gestalten, anonyme Wesen – wie Zeitgenossen eines mörderischen Weltkrieges, die ihr Gesicht, ihre Identität nicht preisgeben wollten. In Wien würde man aus einer früheren und einer gleichzeitig in einer Galerie stattfindenden Ausstellung diese Aufnahmen ohnehin kennen, weshalb auf ihre Präsenz verzichtet worden sei, lautete die hanebüchene Erklärung des Kurators.

 

Charles Harbutt: Boys Smoking in Car, Reform School, New York, 1963 Saul Leiter: Taxi, 1957
Charles Harbutt: Boys Smoking in Car, Reform School, New York, 1963, © Charles Harbutt / Actually Inc. Saul Leiter: Taxi, 1957, © Saul Leiter / Courtesy Howard Greenberg Gallery

 

            Von wem sind nun Bilder aus welchem Zeitraum zu sehen? Zunächst von den Weltberühmten wie Walker Evans (15 Exponate) und Weegee (6) aus den 1940er Jahren, Robert Frank (7) und William Klein (8) aus den 50ern, Lee Friedlander (7), Garry Winogrand (2) und Diane Arbus (5) aus den 60ern sowie Joel Meyerowitz (5) und Helen Levitt (8) aus den 70er/80ern; dann von bekannten Größen wie Bruce Davidson (3) aus den 60ern und Tod Papageorge (7) aus den 70er/80ern; und zuletzt von weiteren sieben weniger prominenten Fotografen aus allen Perioden. Von den insgesamt 135 Exponaten sind 33 in Farbe; bei 86 Abzügen handelt es sich nicht um vintage prints, sondern sie wurden Jahre oder zumeist Jahrzehnte nach Herstellung des Negativs angefertigt. Auch dieser Verzicht auf Originale ist eine der Folgen, wenn man sich allzu großzügig aus den Beständen von Fotogalerien bedient: Allein 42 Stücke kommen von der New Yorker Howard Greenberg Gallery, nur 32 stammen aus öffentlichen Sammlungen.
            Die Inszenierung der Bilder folgt der üblichen Facon in Reih und Glied, brav geordnet nach Zeitabschnitten und in diesen nach den Urhebern. Die strenge Reihung, die stereotype Rahmung, das (notwendig) gedämpfte Licht vermitteln eine eher elegante Atmosphäre, die den Bildinhalten entgegen steht. Denn Straßenfotografie handelt zumeist von der Flüchtigkeit der Begegnungen, von raschen Seitenblicken, von Kunden, die in Geschäften verschwinden oder aus solchen kommen, von Schaufenstern, in denen sich kurz spiegelt, was daneben und davor abläuft, von eiligen Passanten, von vorbeiflitzenden Autos. Diese Situationen werden durch die Präsentation im Wien Museum gleichsam beruhigt, das Momenthafte breit dargelegt, ein wenig pathetisch vorgezeigt. Dabei verliert sich aber auch wesentlich, was die Menschen auf den Straßen der Großstadt beherrscht: das Gefühl der Isolation, der Fremdheit, der Nichtbeachtung.
            Kurator und Museum haben sich also mit ihrem Thema nicht allzu viel Mühe gegeben. Insofern wirkt die vollmundige Einschätzung von Gilles Mora mehr als eigenartig, wenn er wörtlich feststellt, für ihn sei die Zusammenstellung eine Manifestation in mehrfacher Hinsicht gewesen: „On New York. On Street Photography. On Photography.“ Selbst einzelne hervorragende Exemplare können nicht wettmachen, dass das Ergebnis in allen drei Punkten ungenügend ausgefallen ist. Insofern bedauert man auch nicht, dass keine Publikation die Veranstaltung begleitet: Sie wäre wohl nur unter „On Gilles Mora“ zu rubrizieren gewesen.

März 2009

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© Timm Starl 2009

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