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Fotokritik

 

Timm Starl
Bilder für die Heimatfront
Christine Brocks

Die bunte Welt des Krieges
Bildpostkarten aus dem Ersten Weltkrieg 1914 – 1918
(Frieden und Krieg. Beiträge zur Historischen Friedensforschung, Bd. 10)
Essen: Klartext, 2008
23,9 x 16,7 cm, 294 S., 31 SW-Abbildungen
Broschiert
€ 29,95

Zum Ersten Weltkrieg existiert eine reichhaltige Literatur, die sich wesentlich auf Textquellen stützt, seien es Aufzeichnungen der militärischen und politischen Stellen, Tagebücher und Briefe von Offizieren und Soldaten, Verwaltungs- und Gerichtsakten oder Berichte und Kommentare aus der Presse. Zur Bildproduktion liegen vergleichsweise nicht allzu viele Veröffentlichungen vor, wobei sich die wenigen in erster Linie mit Fragen zur Propaganda oder zu einzelnen Bildgegenständen beschäftigen. Obwohl die illustrierte Postkarte neben den Knipseraufnahmen am meisten Anschauungsmaterial bereitgestellt hat, liegt bislang keine einigermaßen umfassende Untersuchung zu den im Krieg produzierten und zirkulierenden Bildern vor. Dafür verantwortlich zeichnet nicht zuletzt die Kunstgeschichte, die sich zwar seit jeher für die Geschichte der Bilder zuständig fühlt, jedoch den populären Medien mangels ästhetischer Qualität kein Interesse entgegengebracht hat. Die Zeithistoriker wiederum haben sich zwar aus diesem Fundus bedient, allerdings nur um ihre Texte zu illustrieren und ohne die Bilder als zeitgenössische Kommentare anzusehen und sie analog den verbalen Quellen in ihre Überlegungen mit einzubeziehen.
           Erst in jüngster Zeit haben sich die Kultur- und Bildwissenschaften der Massenprodukte angenommen und gehen daran, Methoden zur Analyse und Interpretation von Bildern zu entwickeln. Dabei zeigt sich, dass es einiger Mühe bedarf, um entsprechendes Material in repräsentativem Ausmaß bereitzustellen. Zwar gibt es zahlreiche Postkartensammler, aber die meisten haben sich auf einzelne Motive spezialisiert, agieren im Verborgenen oder lassen Fremde nicht zu ihren Schätzen vordringen. In den Museen und Archiven verhält es sich, was die Ausrichtung betrifft, nicht viel anders, wenn beispielsweise in städtischen Institutionen ausschließlich Bilder zur örtlichen Geschichte und Topografie gesucht und bewahrt werden. Bundes-, Landes- und Militärarchive wiederum decken zwar ein weites Spektrum ab, verfügen aber meist nicht über relevante Bestände aus der privaten Bildproduktion, zumal Nachlässe nur gelegentlich von Familien den öffentlichen Stellen überantwortet werden. Darüber hinaus hat der jahrelange Ausschluss der massenmedialen Produkte von Forschungsprojekten dazu geführt, dass die Sammlungen vielfach unbearbeitet geblieben und nur Teile davon erschlossen worden sind, wenn sie für Ausstellungsvorhaben benötigt wurden.
           Christine Brocks hat sich der Mühe unterzogen und im Bundes-Militärarchiv Freiburg sowie in den Landes- beziehungsweise Staatsarchiven in Karlsruhe, München und Stuttgart recherchiert. Dort hat sie zum Kapitel „Amateurfotografien von der Front“ (88 bis 115) offensichtlich nur wenig Bildbelege gefunden, was sich insofern bemerkbar macht, als ihre Erkenntnisse fast ausschließlich auf der einschlägigen Sekundärliteratur und nicht – wie bei den Ausführungen zur Berufsfotografie – auf der Sichtung von Bildbelegen basieren. Auch wurden nur drei Abbildungen in dem Abschnitt platziert, darunter zwei ähnlich gestaltete Gruppenporträts (97), was weder dem Anteil der Knipserbilder noch deren motivischer Vielfalt gerecht wird. Zudem werden Aufnahmen, die in der Heimat angefertigt worden sind, beispielsweise um den Männern an der Front zu zeigen, wie sich die Kinder inzwischen entwickelt haben, gar nicht berücksichtigt, obwohl auch diese das Bild des Krieges mit zeichnen. Insgesamt zeigt sich die Autorin etwas unsicher im Gebrauch des Bildmaterials. Nicht nur dass sie auf 294 Seiten nur 31 Beispiele, davon zwölf fotografische, abbildet, sondern auch weil sie der verbalen Rhetorik der Gedichte und Sprüche, die auf Genredarstellungen und Porträts aufgedruckt sind, mehr Aufmerksamkeit widmet als den bildlich vorgetragenen Äußerungen.
           Dass überhaupt Text und Bild auf den entsprechenden Postkarten bewertet werden, gehört andererseits zu den Stärken des Buches. Auch ist positiv einzuschätzen, dass grafische und fotografische Bilder behandelt werden, selbst wenn man sich mehr Wiedergaben von Fotografien gewünscht hätte. Auch wäre eine Nebeneinanderstellung – unter anderem bei den Überlegungen zum Kitsch – meines Erachtens aufschlussreicher gewesen als die getrennte Behandlung. Ohnehin ist fraglich, wie sinnvoll eine Ordnung ist, die – wie im gegebenen Fall – einmal nach Autoren (Knipser und Berufslichtbildner), dann wieder nach Herstellungsarten (fotografische und grafische Produkte) und nicht nach Themen und Motiven trennt.
           Meine Einwände sollen darauf abheben, dass noch einige Fragen zum Umgang mit massenmedialen Phänomenen im Bildbereich offen sind, und ich selbst auch noch auf der Suche nach adäquaten Vorgehensweisen bin. Dabei darf nicht unerwähnt bleiben, dass die vorliegende Publikation – aus einer Dissertation im Bereich der Geschichtswissenschaften hervorgegangen – eine vortreffliche Ausgangsbasis für weiterführende Nachforschungen zur Bildproduktion im Ersten Weltkrieg abgibt.      

Februar 2009

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© Timm Starl 2009

PDF - 51kb

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