Fotokritik |
Timm Starl
Ein „Monat der Fotografie“ in Wien
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Einladungskarte zur „Eröffnung des zweiten Monats der Fotografie in Wien“ am 2. November 2006 mit dem Detail einer Arbeit aus der Serie „Plateau“ von Anja Manfredi aus dem Jahr 2006 |
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„Let's begin with the title“ – der Anfang eines Beitrages im Katalog zum „Monat der Fotografie“ in Bratislava verleitet dazu, nach der thematischen Ausrichtung der gleich lautenden Veranstaltungsreihe in Berlin, Luxemburg, Moskau, Paris, Rom und Wien zu fragen. Das Thema ist der Zeitpunkt, könnte man sagen, wobei dieser Monat jedoch mit dem Kalender nur teilweise zu tun hat. Denn unter demselben Etikett versammelt jede der beteiligten Städte Ausstellungen und Vorträge, Workshops und Konzerte, Tagungen und Wettbewerbe nach eigenem Gutdünken, und den einen erschien der November als der passende Termin, andere wiederum wählten den Dezember. Die mitwirkenden Institutionen vereinte die Gewissheit, dass die jeweilige Kommune Mittel bereitstellt, um entsprechend Werbung zu machen. Allerdings musste man sich – wie in Wien – einer Jury stellen, die entschieden hat, wer dabei sein durfte. Im positiven Fall standen eine oder mehr Seiten in einem Katalog zur Verfügung, in dem die Vorhaben in Bild und Text vorgestellt wurden. Um über den Titel hinaus einen gemeinsamen Nenner zu haben, wurde eine Ausstellung konzipiert, die sich „Mutations I“ nennt. Kuratoren aus den sieben Ländern nominierten jeweils fünf Fotokünstler beziehungsweise Fotokünstlerinnen ihrer Heimat, deren Positionen sie in künstlerischer und/oder technologischer Hinsicht als innovativ für unsere Tage angesehen haben. Daraus hat dann ein gemeinsames Gremium jeweils eine Person pro Land gewählt. Ein gemeinsamer Katalog wird die Vorführungen begleiten, die allerdings später zur Realisierung gelangen, so in Wien erst im September 2007.
Ein analoges Konzept verfolgte die Fotogalerie Wien, indem sie „3 Fotografie-Fachpersonen gebeten [hat], 3 KünstlerInnen zu nennen, die für sie im Bereich Fotografie und Neue Medien wichtig sind. Nennkriterien waren: jüngere oder unbekannte KünstlerInnen, die in den jeweiligen Städten/Ländern arbeiten.“ Präsentiert wurden die Arbeiten unter dem schmissigen Titel „Wazzup?“ (14.11. – 13.12.2006), was meint: „What's up [...] Eine Veränderung jagt die andere. Was gestern out – ist heute in – und umgekehrt.“ Die Vielzahl und Vielfalt der Positionen von 52 Fotokünstlern und -künstlerinnen führte zu nicht mehr als der Einsicht, dass überall alles möglich sei. Sieben von ihnen waren mit einzelnen wenigen Originalabzügen zu sehen, von den übrigen hat man Portfolios auf Tischen aufgereiht. Die Schau war etwas für erfahrene Juroren und Kuratoren, die über das nötige Abstraktionsvermögen verfügen, um sich nach Mappen und Heften unterschiedlicher Machart ein Bild zu formen.
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Fotogalerie Wien: Einladungskarte zur Eröffnung der Ausstellung
„Wazzup?“ am 13. November 2006 |
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Hinter der großen Zahl der Bilder – bei etwa zehn je Künstler und Künstlerin sind es um die 500 gewesen – liegt es nahe, dass einzelne Arbeiten mehr oder weniger untergehen. Wie im Kleinen einer Galerie hat dies auch im Großen und Ganzen für den „Monat der Fotografie“ in Wien zugetroffen. „250 KünstlerInnen in 88 Ausstellungen, die in sieben Museen, 45 Institutionen und 36 Galerien stattfinden, dazu ein rundes Dutzend Workshops und Symposien“, verkündete jubelnd die Rathauskorrespondenz am 19. Oktober 2006. Dabei hat sie einzelne Vorträge gar nicht berücksichtigt, von denen ich einen herausgreifen möchte, weil er sich von sämtlichen Veranstaltungen wesentlich unterscheidet. Behandelt wurde weder das Fotoschaffen eines Landes noch eine historische Periode, keine Künstlergruppe und keine einzelne Person, auch nicht ein bestimmtes Motiv – sondern eine Farbe. Zudem sprach der Architekturtheoretiker und Ausstellungskurator Jan Tabor nicht über Fotografien oder die Fotografie, sondern über die Implikationen und Konnotationen von Orange (Österreichisches Museum für Volkskunde, 30.11.2006). Er holte weit aus und fand erhellende Wege, von Wilhelm von Oranien über die Apartheid bis zum tödlichen „Agent Orange“ des Vietnamkrieges, von den Protesten in der Ukraine bis zu dem Film „Clockwork Orange“ von Stanley Kubrick. Zur Sprache kam neben anderem, dass Ende der 1980er Jahre Orange in Deutschland die unbeliebteste Farbe nach Braun gewesen ist. Parallel zu seinem assoziativ angelegten, gleichwohl anregenden Parforceritt durch die Geschichte hat der Redner Hunderte von eigenen Aufnahmen projiziert, die nichts mit dem Text zu tun hatten, wohl aber orangefarbene Gegenstände des Alltags zeigten, die dem Vortragenden in diversen Ländern vor die Kamera gekommen waren. Zu erleben war ein gelungenes Lehrstück, wie das Banale und das Politische, das Aktuelle und das Historische, Foto- und Sprachbilder eine beredte Allianz einzugehen vermögen, ohne sich inhaltlich zu berühren. Tabor hat auf zwei Ebenen zugleich argumentiert, auf der visuellen und der akustischen.
Eine kaum vergleichbare und doch teilweise ähnlich angelegte Konzeption verfolgte die Ausstellung „ex sampling. Collage / Montage in der Fotografie“ (Künstlerhaus, 9. – 15.11.2006), bei der neben den Arbeiten von 16 in Wien arbeitenden Künstlern und Künstlerinnen Klanginstallationen zu hören waren. Vorgeführt wurden diverse Formen der Verwendung und Bearbeitung von fotografischen und filmischen Bildern und ihre Übertragung in neue Konstellationen. Deutlich gemacht werden sollte „die Loslösung der 'fotografisch' anmutenden Bilder aus seinen – fraglichen – Wirklichkeitsbezügen“. Diesem nicht gerade innovativen Ansatz sollte durch möglichst große Breite an Methoden und
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Angela Schwank: Collage aus Zeitungspapier IV/2006, 6,5 x 9,1 cm
(aus dem Katalog Monat der Fotografie. Wien 2006 , S. 69) |
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Techniken, verwendete Medien und Bildlösungen Schwung verliehen werden. Die Entwürfe gingen weit auseinander, von der Schnittmontage mit Zeitungsillustrationen (eine Serie von geradezu idyllisch anmutenden, kleinformatigen Kreationen von Angela Schwank, zusammen mit Brigitte Konyen auch als Kuratorin zuständig) bis zur Fotoreihe, die sich erst nach Ansicht eines Videos erschließt. Am besten gefallen hat mir ein Tableau von Gerhard Leixl: neun Bilder von Wolkenformationen, von denen nur eines durch einen Hubschrauber erkennen lässt, aus welchem Winkel in den Himmel geblickt wird; die acht anderen verraten die Position des Fotografen nicht und geben so dem Blick des Betrachters keinen Halt – er ist orientierungslos und sieht ins Leere.
Die räumlich großzügig arrangierte Zusammenstellung hat ein anderes Vorhaben mit verwandtem Thema in die kleineren Galerieräume des Hauses gedrängt. Die „Fotogramme 1920 > now“ (Künstlerhaus, 3.11. – 3.12.2006) litten ein wenig unter beengten Verhältnissen, so dass das Nebeneinander von historischen und zeitgenössischen Werken eine Nähe suggerierte, die nicht gemeint war. Die von Inge Nevole, Maria Schindelegger und Christina Natlacen ausgewählten Arbeiten zeigen nämlich nur in einem Fall formale Ähnlichkeit: Waltraud Palmes Papierschnitte, entstanden um
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Pablo Picasso: „Le Corrigan du litteral”, 1960,
Collotype-Fotogramm, 40 x 30 cm, aus der Serie „Diurnes”, © Galerie Johannes Faber, Wien (aus
dem Katalog, S. 19, Abb. 6, Nr. 10) |
Waltraud Palme: aus der Serie „Family Life”, 2000,
Fotogramm, 18 x 24 cm (aus dem Katalog, S. 29,
Abb. 7) |
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2000, verweisen auf den ersten Blick auf die Arbeiten von Christian Schad und Pablo Picasso aus den 1960 Jahren. Doch die Verbindungen zwischen den Fotogrammen von Schad, Picasso, Man Ray und László Moholy-Nagy und jenen von neun Fotokünstlern aus Österreich, Deutschland und Ungarn sind komplexer, wie auch die Experimente mit kameraloser Fotografie in den 1920er Jahren einen anderen Stellenwert eingenommen haben als die Schöpfungen 80 Jahre später. Eine Einteilung in die Kapitel „Intermedialität“, „Licht“, Narration“ und „Natur“ mochte der Besucher nur schwer nachzuvollziehen. Doch das vorzügliche Begleitmaterial und der Katalog mit intelligenten Analysen der Kuratorinnen lenkte das Staunen in ein Verstehen, auch wenn man nicht mit jeder Interpretation konform gehen musste. Von allen Projekten des „Monats der Fotografie“ erscheint mir dieses als das anspruchvollste und gelungenste, machte es doch die Entsprechungen wie die Unterschiede, die Anklänge wie die Abkehr in den verschiedenen Perioden der Anwendung eines Verfahrens anschaulich: in ästhetischer wie theoretischer Hinsicht.
Einen Bogen bis heute spannte auch die von Peter Weiermair für die Kunsthalle arrangierte Schau „Americans“ (3.11.2006 – 4.2.2007), die sich nicht nur im Titel an Robert Franks Buchprojekt The Americans von 1958 anlehnte. Seinem erstaunten wie erschreckten Blick auf vereinsamte Menschen, leere Straßen und die Fassaden der
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Gordon Parks: „American Gothic”, 1942,
35 x 28 cm, © Gordon Parks Estate, Courtesy Howard Greenberg Gallery |
Ed Templeton: „Dildo on Desk”, 2002,s
© Der
Künstler/the artist, Courtesy Roberts & Tilton,
Los Angeles |
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Werbung folgten Bildentwürfe von 13 Fotografinnen und Fotografen mit unterschiedlich kritischer Sicht auf die amerikanische Gesellschaft. Einerseits eine Galerie der bekannten Namen – von Helen Levitt bis Diane Arbus, Lee Friedlander bis Larry Clark, Gordon Parks bis Richard Avedon –, waren die berühmten wie weniger bekannte Arbeiten vertreten, wobei die Serien aus jüngster Zeit in ästhetischer Konstruktion wie inhaltlicher Rhetorik kaum Neues boten. Allerdings musste der Besucher nicht mit dem Eindruck abfallender Qualität und geringerem kritischen Potential die Räume verlassen, sondern hatte – um zum Ausgang zu gelangen – die chronologisch gereihten etwa 350 Bilder (darunter eine Arbeit mit 158 Aufnahmen) noch einmal in umgekehrter Richtung zu passieren. Wer diese Rückkehr aufmerksam vollzog, hatte das Vergnügen, sich der Geschichte von heute an zu nähern und festzustellen, dass sich für manche Aufnahmen neue Einsichten boten und sich insgesamt eine ganz andere Geschichte auftat.
Demgegenüber argumentierten die übrigen Projekte mit historischer Fotografie eher eindimensional, indem sie die kultur- und sozialgeschichtlichen Aspekte außer acht ließen („Pioniere der Daguerreotypie in Österreich“, s. Text 1) oder eine Person herausstellten, ohne sie ins Verhältnis zur Fotografie ihrer Zeit zu setzen („Barbara Pflaum“, s. Text 3). Dazu zählen auch – ich übernehme die Angaben aus dem Katalog – die beiden Ausstellungen zur Revolution von 1956 in Ungarn mit Aufnahmen des Magnum-Fotografen Erich Lessing in Budapest (Leopold Museum, 13.10.2006 – 13.1.2007) und der Fotografin Ata Kandó von Flüchtlingen (Collegio Hungaricum, 9.11. – 8.12.2006). Dermaßen in der Geschichte isoliert, sind die Bilder von Toten in der ungarischen Hauptstadt ebenso weit entfernt von den Leichen im Bagdad von heute wie die erschöpften Familien an der Grenze zu Österreich von den abgemagerten Vertriebenen im Sudan oder anderswo im Afrika unserer Tage.
Einen historischen Rekurs ganz anderer Art bedeutete die Aufstellung der begehbaren „Selbstporträtkamera – Imago 1:1“, die von dem Physiker Werner Kraus und dem Künstler Erhard Hößle Anfang der 1970er Jahre entwickelt worden war. Im „Kontext des 'Sigmund-Freud-Jahres 2006'“ hat man Psychoanalytiker eingeladen, sich in Lebensgröße abzulichten, und stellte einige großformatige Bildnisse aus. Das schwarze Ungetüm wirkt ebenso abstoßend und deplaziert, wie die Porträts an den Wänden zu nicht
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Michael Wiener: Imago 1:1, 10.11.2006 |
Michael Wiener: Imago 1:1, 10.11.2006
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mehr führten als einem lakonischen Aha. Lediglich ein winziger Engel auf dem hinteren Teil der Kamera – von Besuchern angebracht? – deutete an, dass hier irgendwie überirdische beziehungsweise übersinnliche Kräfte im Spiel waren. Eine durchaus verzichtbare Unternehmung.
So trist diese Installation anmutete – man fühlte sich in eine Aufbahrungshalle mit schwarzem Dekor versetzt –, so anregend waren zwei Retrospektiven: eine kleine und einemächtige. Die kleine war Birgit Jürgenssen (1949 – 2003) gewidmet (Galerie Hubert Winter, 9.11.2006 – 13.1.2007) und präsentierte mit 113 Exponaten einen recht guten
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Birgit Jürgenssen: „Ich möchte hier raus (Selbstportrait)“,
1976, s/w Fotografie auf Barytpapier, 40 x 30,9 cm,
Courtesy Estate Birgit Jürgenssen / Galerie Hubert Winter |
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Überblick zum Schaffen der Künstlerin. Vor allem in ihren Selbstdarstellungen hat sie bereits in den 1960er Jahren Fragen der Identität und Geschlechterrollen aufgegriffen und fotografisch umgesetzt. Mit unterschiedlichen Techniken – Polaroids, Montagen, Fotogramme, Zeichnungen – formulierte sie mit und auf ihrem Körper, in Posen und Maskeraden eingängig und entschieden ihre feministischen Anliegen, ohne auf spekulative Exzentrik oder plakative Blößen zu setzen.
Gegenüber der intimen Galeriepräsentation nahm sich die Rückschau auf Erwin Wurm mit mehr als 400 Arbeiten monströs aus (Museum moderner Kunst, 20.10.2006 – 11.2.2007). Das lag auch an den zahlreichen voluminösen Objekten, mit denen der Künstler das Alltägliche ins Groteske verzerrt, aufbläht, es auf den Kopf stellt. Die Funktion wird zur Fratze, die Form zur Grimasse. Eigenheim, Auto, Kleidung, Essen stürzen als
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Michael Wiener: „House attack” von Erwin Wurm auf dem Dach des
Museums moderner Kunst, 10.11.2006 |
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Skulpturen des Banalen auf den Betrachter, der in ihnen das Zerrbild seines konsumistischen Interesses (auch jenes an Kunst) wahrzunehmen vermag. Wurm arbeitet mit nahezu allen Medien und Materialien, unter anderem auch mit Fotografie, und insofern sprengt die Ausstellung die Klammer der Veranstaltungsreihe – und muss davon unabhängig als Höhepunkt dieses„Monats der Fotografie“ angesehen werden.
Wenn Wurm etwas wie die Einfalt der landläufigen Wünsche ironisch-kritisch reflektiert, geraten manchen Künstlern der Welt im Osten ihre digitalen Traumbilder zum Kitsch. Inwieweit solche Tendenzen typisch für die Entwicklung (nach) einer Wende sind oder sich lediglich den Vorlieben westlicher Kuratoren verdanken, vermag ich nicht zu beurteilen. Jedenfalls hat eine eigenartige Auswahl den Weg von China nach Wien gefunden (lukasfeichtner Galerie, 24.11.2006 – 20.1.2007). Da steht ein nacktes Pärchen neben einem Gipfelkreuz und unter dräuenden Wolken und über der Bildunterschrift „In Bad Goisern“, und eine Engelschar überfliegt das Brandenburger Tor, das in einem weiteren
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Einladungskarte der lukasfeichtner Galerie zur Eröffnung der Ausstel-
lung „Another world. photography from China” am 23. November 2006 |
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Bild von einem nackten Mann in mehrfach geklonter Ausführung mit Flügeln, durchquert wird. „Another World? Photography from China“ heißt der Auftritt von vier Künstlern im Katalog der Stadt zum „Monat der Fotografie“, während in den Veröffentlichungen der Galerie das Fragezeichen verschwunden ist, jedoch in der Exponatenliste auch die Preise der riesigen, bis zu 2,50 Meter breiten Bilder genannt werden: zwischen 4.000 und 40.000 Euro.
Während bei dieserart Ansichten die reale Welt aus dem Blick gerät, kommt andernorts „land in sicht“. Unter dieser Überschrift vereinten sich „acht fotografische positionen zur heimat“ und zu einer bemerkenswerten Ausstellung (galerie time, 22.11. – 2.12.2006). Geboten werden ebenso ungewöhnliche wie facettenreiche Vorstellungen des Zuhause von sich oder anderen. Zur Heimat werden dem Reisenden die temporäre
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Kurt Hörbst: „family_scans”, 2005 |
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Unterkunft und die Sicht aus dem Fenster (Christoph Lingg). Ein anderer umgibt sich mit den lebensgroßen Porträts der Familienmitglieder, die wie an die Wand geheftet erstarrt sind (Kurt Hörbst), während die öden Shoppingcenters an den Stadträndern die Grenzen des Refugiums markieren (Klaus Vynalek) und die Wunderwelten von Vergnügungsparks von der Suche nach Zufluchtstätten gezeichnet sind (Reiner Riedler). Die letzte Heimat ist der Ort des Sterbens, das die Modelle für die Kamera inszenieren (Arabella Schwarzkopf). Zu bedauern war die nicht einmal zweiwöchige Präsenz dieser Arbeiten von acht Fotokünstlern mit zusammen 70 Exponaten, arrangiert von der Gruppe b-sides, die sich anlässlich des „Monats der Fotografie 2004 gebildet hat. Ein altes Thema wurde mit neuen Fragestellungen aufgeworfen und in überzeugenden Bildstrecken dargeboten.
Die Sehnsüchte und Obsessionen, die sich mit Heimat verbinden, verbergen sich auch in einem Projekt, bei dem eine Figur verfolgt worden ist, die nach und nach aus dem Wiener Stadtbild verschwindet. Es ist der Meinl-Mohr, der seit 1924 die Werbung, Waren
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Natascha Auenhammer: „Mosaik“, 1997/99,
40 x 30 cm
(aus dem Katalog Monat der Fotografie.
Wien 2006 , S. 21) |
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und Geschäfte einer Kaffeefirma und Lebensmittelkette ziert. Natascha Auenhammer hat dieser Grafik nachgespürt und sie mit Aufnahmen in nüchtern-dokumentarischer Manier fotografisch festgehalten (Bezirksmuseum Josefstadt, 15.11.2006 – 21.1.2007). Ergänzt sind die 60 Exponate mit Plakaten, Verpackungen und Artikeln aus dem Angebot der Firma Julius Meinl, deren meiste Niederlagen inzwischen verkauft und deren Produkte nur noch in einigen Regalen zu entdecken sind.
Beteiligt haben sich am „Monat der Fotogafie“ auch die beiden einzigen Studienstätten für Fotografie in Österreich, allerdings mit ganz unterschiedlichem Engagement. Die Akademie der bildenden Künste hat unter dem pompösen Titel „size does matter. Fotografie als Paradigma für eine Variabilität des Formats“ ein eher minimalistisches Programm von drei Vorträgen und einer bescheidenen Präsentation geboten. Nicht nur war der Konnex zum Thema häufig nicht zu erkennen, sondern die Prints der 15 Studenten und Studentinnen wurden ziemlich lieblos an die Wände einer Halle montiert, wo manche hinter Tischen und Bänken platziert und nicht ohne weiteres zugänglich waren. Aufgefallen sind zwei Bilder von Susi Krautgartner, die mit digitalen Konstruktionen eine anstehende Verkleinerung ihrer Nase am Computer vorweg genommen hat: Die „blutigen“ Ergebnisse erinnern ein wenig an Cindy Sherman und ein bisserl an Gottfried Helnwein.
Sehr viel mehr Mühe hat sich die Klasse für Fotografie an der Universität für angewandte Kunst Wien gegeben. Die Möglichkeiten der noch jungen Galerie „Raum mit Licht“ wurden extensiv genutzt: die üblichen weißen Flächen des zentralen Schauraums, ein Gang zum Hof, eine abgetakelte ehemalige Werkstatt, ein ziemlich lädiertes Holzhäuschen im Garten und dieser selbst. Mit Überlegung und Geschmack wurden die Stücke
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Pia Mayer: „Black Skirt I (through the looking glass)”, 2004/05, Nikrofrottage auf Papier, 200 x 150 cm (aus dem Katalog Fotografie an der Angewandten , S. 115) |
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positioniert: große und kleine Prints, Diaserien, Videos, Installationen. Deutlicher noch wird das mediale Spektrum und das reflexive Potential vieler Arbeiten in einer Begleitpublikation, die Werke aus den Jahren von 2001 an, seitdem Gabriele Rothemann die Klasse leitet, versammelt. Zu Wort kommt nicht nur die Lehrerin, die ihr Konzept in einem Gespräch mit Daniela Hammer-Tugendhat erläutert, sondern auch Schüler kommentieren ihre Werke und diskutieren in einer Runde. Dass eine Absolventin von 2006, Nina Dick, zu jenen Künstlerinnen zählt, die für die eingangs erwähnte Ausstellung „Mutations I“ als österreichischer Beitrag ausgewählt wurde, markiert exemplarisch die Qualität der Aktivitäten an dieser Institution.
Eine der Studentinnen an der Akademie, Sissa Micheli, trat in einer weiteren Ausstellung auf, für die sie zugleich und gemeinsam mit Christa Kaltenbrunner verantwortlich zeichnete (Schaugrund, Quartier 21/MQ Wien, 4. – 22.11.2006). Geboten wurden in Anlehnung an die Ausrichtung des „Monats der Fotografie“ 13 Fotokünstlerinnen und Fotokünstler aus den beteiligten sieben Städten. Jedoch ist die spärlich mit je einem
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Sissa Micheli: aus der Serie „When I daydream”,
2004, 90 x 60 cm |
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Exponat beschickte Darbietung nicht erwähnenswert, vielmehr liegt der Schwerpunkt auf einer Zeitung, in der die Teilnehmer auf je einer Doppelseite mit Bildern und Kommentar vorgestellt werden. Die etwas blasse Wiedergabe entrückt ein wenig die Motive, als ob in dieser Dokumentation schon der Zeitfaktor mit eingeschlossen sein sollte, der die Bilder zwar auf lange Jahre bewahrt, aber sie nach und nach ausbleichen lässt. Und wie auch bei anderen Veröffentlichungen werden sich Anlass und Absichten irgendwann verflüchtigen, und der spätere Betrachter wird nur noch eine vergangene Bildwelt wahrnehmen, von der er nicht weiß, ob sich die Blässe der Bilder von 2006 einer ästhetischen Geste oder einem technischen Manko verdankte.
Michael Wiener danke ich für die Bereitstellung der Bilder, die er bei unserem gemeinsamen Gang durch das Museumsquartier am 10. November 2006 angefertigt hat.
Dezember 2006
Kataloge
Monat der Fotografie
Wien 2006
(Hrsg. von Vladimir und Estragon)
Salzburg: Fotohof, 2006
(Fotohof edition, Bd. 71)
30 : 23,2 cm, 247 S., ca. 400 meist farbige Abb.
Broschiert
€ 19,-
Bilder
Nr. 216: Wazzup? Monat der Fotografie
Ausstellungskatalog Fotogalerie Wien
Wien 2006
17,9 : 13 cm, o.S., 52 Abb. in Farbe
Geheftet
Kostenlos, wurde als Einladung verschickt
Fotogramme 1920 > now
Hrsg. von Inge Nevole, Maria Schindelegger, Christina Natlacen und dem Künstlerhaus Wien
Ausstellungskatalog Künstlerhaus Wien
Passau: Dietmar Klinger, 2006
26,4 : 20,7 cm, 64 S., 80 teils farbige Abb.
Broschiert
€ 14,-
Americans
[1940 – 2006]
Amerika: Die soziale Landschaft 1940 – 2006
Meisterwerke amerikanischer Fotografie
Ausstellungskatalog Kunsthalle Wien
Hrsg. Kunsthalle Wien, Peter Weiermair, Peter Matt
deutsch/englisch
Bologna: Damiani, 2006
28,7 : 24,6 cm, 199 S., 127 teils farbige Abb.
Gebunden, Schutzumschlag
€ 24,-
Fotografie an der Angewandten
Hrsg. von der Universität für angewandte Kunst Wien,
Fotografie, Institut für Bildende und Mediale Kunst
deutsch/englisch
Salzburg: Fotohof, 2006
(Fotohof Edition, Bd. 78)
21,5 : 15,5 cm, 224 S., rund 300 meist farbige Abb., CD
Broschiert
€ 19,-
Schaugrund in the month of photography
a journal and exhibition in the month of photography 2006/2007
with contributions of photographers of the participating cities
Hrsg. Schaugrund / Sissa Micheli & Christa Kaltenbrunner
englisch
Wien 2006
30 : 22,8 cm, 31 S., 52 meist farbige Abb.
Lose Blätter
Kostenlos in der Ausstellung
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© Timm Starl 2006
PDF - 194kb
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