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Fotokritik

Timm Starl
Einzelne Blicke auf entlegene Zonen

Ausstellung
„Die Weite des Eises – Arktis und Alpen 1860 bis heute “
Wien, Albertina: 22. August – 23. November 2008

Katalog
Die Weite des Eises
Arktis und Alpen 1860 bis heute
hrsg. von Monika Faber
Ausstellungskatalog Albertina
Ostfildern: Hatje Cantz, 2008
24,5 : 31,2 cm, 109 (+1) S., 1 Bl., 130 Abb. in Farbe
Gebunden, Schutzumschlag
€ 29,80, SFR 52,-

Den Reigen der Veranstaltungen zum „Monat der Fotografie“ 2008 in Wien hat die Albertina mit einer kleinen feinen Ausstellung zu einem großen Thema bereits im Sommer eröffnet. Die Schau beschäftigt sich mit der „Weite des Eises“, also mit den gewaltigen Formen, was der Titel zum Ausdruck bringen soll und in gut 100 Exponaten dargeboten wird. Es geht nicht um Grundeis oder künstliches Eis, Hagelkörner und Eisblumen, auch nicht um die metaphorischen Sprünge, mit denen sich die kristallinen Elemente und die transparenten Momente von Eis und Fotografie verbinden ließen. Es geht um die weite Sicht und die hohen Gipfel, um tiefe Risse, vereiste Landstriche und massive Formationen – kurz gesagt: Es geht um Distanz und Distanzen. Dazu gehören ebenso der zeitliche Horizont, der eröffnet wird, wie die geografischen Räume, die betrachtet werden: „Arktis und Alpen 1860 bis heute“.
            Hinter der ausgreifenden Überschrift bleibt verborgen, dass sich Monika Faber, die Kuratorin, in Zurückhaltung geübt hat. Vorgeführt werden sollten nicht jene Arktisreisenden, die eine Kamera mitgenommen haben, ebenso wenig alle Gletscher- und Höhlenfotografen, die in den Alpen unterwegs waren, nicht sämtliche Eisfelder und -regionen sollten aufgespürt, kein kompletter fotogeschichtlicher Überblick geboten werden. Vielmehr wurden einzelne Personen und Positionen des 19. Jahrhunderts herausgegriffen, das 20. Jahrhundert völlig außeracht gelassen und einige wenige Arbeiten der jüngsten Zeit dagegen gestellt. Viel Aufmerksamkeit ist jedoch den unterschiedlichen Formen bildlicher Aufzeichnung und Vermittlung gewidmet: Zu sehen sind Fotografien und Filme, Gemälde und Zeichnungen, Einzelaufnahmen und Serien, Stereobilder und Panoramen, kleine schwarzweiße und große farbige Abzüge.
            Bildliche Hervorbringungen mit wissenschaftlichem Anspruch sind ebenso vertreten wie jene von Künstlern mit einigermaßen kritischen Ansätzen und solche, die von Fotoverlagen mit Aussicht auf Gewinn bringende Auflagen in Auftrag gegeben worden sind. Den großartigen, ein wenig pathetischen Ansichten des Montblanc von Auguste-Rosalie Bisson aus dem Jahr 1860 folgen unter anderem die etwas eintönigen der Insel Jan Mayen von Richard Basso, aufgenommen im Zuge der „Österreichischen Polar-Expedition 1882–1883“. In mehreren Stereobetrach­tern findet man Beispiele aus der kommerziellen Produktion von französischern, englischen und österreichischen Fotografen und Verlegern. Am reichhaltigsten vertreten ist der Geologe und Dachsteinforscher Friedrich Simony mit 14 Fotografien sowie zwei Lichtdrucken aus den 1870er und 80er Jahren. Wie ohnehin den österreichischen Protagonisten am meisten Platz eingeräumt wird: Gustav Jägermayer mit neun Aufnahmen aus den Hohen Tauern von 1863, Wilhelm Burger und Hans Graf Wilczek mit zusammen 14 Aufnahmen von der Expedition nach Spitzbergen 1872.

 

W. England: „ Vue dans l'Intérieur du Glacier à Grindelwald, Suisse”, um 1860/70
W. England: „ Vue dans l'Intérieur du Glacier à Grindelwald, Suisse”, um 1860/70, Stereofotografie, aus der Serie „ Views of Switzerland” (Albertina – Dauerleihgabe Höhere Graphische Bundes-, Lehr- und Versuchsanstalt, Wien)

 

            Die Kreationen von drei Künstlern der letzten Jahre setzen – selbstverständlich, muss man hinzufügen – ganz andere Akzente. Der Engländer Darren Almond repliziert in Foto und Filmen die Stereotypie und Stereophonie arktischer Landschaft, spielt mit Tempo und Perspektiven, mit Licht und Farben, führt Bilder auf den Kopf gestellt vor, das heißt Eisschollen oben und Wolken unten, lässt Eisblöcke ruckartig vorbei ziehen. Der in Berlin lebende und vornehmlich in Island fotografierende Däne Olafur Elliason nähert sich den Fels- und Eismassen kartografisch, blickt auf schmelzende Eisstücke, verweigert die Auskunft zu den Größenverhältnissen, führt die Aufsichten in Tableaus zusammen und erhöht mit der grafischen Geometrisierung noch den Abstraktionsgrad.
            Der Südtiroler Walter Niedermayr setzt zwei oder mehr Aufnahmen, die ein Motiv von leicht abweichenden Standpunkten aus verfolgen, nebeneinander, was den lakonischen Blick, der den großformatigen Abzügen nachgeht, einhalten und zu einem fragenden und suchenden werden lässt. Immer sind ganz winzig Menschen oder ein Fahrzeug im Bild präsent, so dass die Verhältnisse quasi offen liegen und deutlich gemacht wird, dass Natur zerstört werden muss, um sie touristisch konsumierbar zu machen. Die kleinen Figuren und Geräte verweisen zurück auf die Aufnahmen des 19. Jahrhunderts, in denen Bergsteiger, Vermesser oder Expeditionspersonal auftreten. Doch während diese die „Weite des Eises“ erkundet und unbekannte Gegenden mit Bildern anschaulich gemacht haben, werden heutzutage die Veränderungen registriert und die Kompositionen mit mehr oder weniger kritischem Unterton als Kunstprodukte dem Museumspublikum vorgesetzt.

 

Walter Niedermayr: „Nigardsbreen III“, 2002
Walter Niedermayr: „Nigardsbreen III“, 2002, 4-teilige Arbeit, C-Prints, je 104 x 131 cm (Albertina, Wien © Courtesy Galerie Meyer Kainer, Wien)

           

            Der begleitende Katalog ist etwas mager geraten, bringt zur Fotografie des 19. Jahrhunderts wenig Neues, zeigt sich mehr interessiert an den Künstlern unserer Tage. Was die Ausstellung zugänglich macht – punktuelle Hinweise auf Produktions- und Distributionsweisen, kurze Texte, großzügige Hängung –, hätte die Publikation ergänzen müssen mit etwas ausführlicheren Nachforschungen zum historischen Bildmaterial und dem Wirken ihrer Autoren.

Oktober 2008

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© Timm Starl 2008

PDF - 370kb

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