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Fotokritik

 

Timm Starl
„[...] und wünschen viel Spaß bei der Lektüre.“

Index Camera Austria International
1/1980 – 100/2007
Hrsg. Manfred Willmann, Christine Frisinghelli
Graz: Verein Camera Austria, 2008
22,7 : 21 cm, 80 S., 91 Abb. in Farbe
€ 15,-

Im Jahr 2000 betritt die österreichische Fotozeitschrift Camera Austria ungewohntes Neuland: Sie verlässt die hehren Gefilde der Fotokunst und begibt sich auf das unsichere Terrain der Politik. Diese Exkursion mit dem Heft 69, eine Art Trauerkundgebung, sollte allerdings – samt einem Appendix in der folgenden Ausgabe – ein Einzelfall bleiben. Das Heft enthält weder Bilder noch Texte, sondern wiederholt nach der Titelseite auf 43 schwarzen Blättern das Motto: „Österreich 2000“. Man trauert, wie weit es mit der Politik im Lande gekommen sei, und protestiert gegen „die Legitimierung einer rechtsextremen Partei“ unter Jörg Haider, nachdem sie mit der konservativen Österreichischen Volkspartei in eine Regierungskoalition eingetreten war. Zugleich ergeht in einem beiliegenden Aufruf der Herausgeber und des Redaktionsteams die Aufforderung an die Leser und Leserinnen, Kunden und Freunde, in Bild oder Text Stellung zu nehmen, was in einer nächsten Nummer zur Veröffentlichung gelangen sollte. Dem ungewöhnlichen Protest folgte also ein traditioneller, der jedoch nicht mehr als etwa ein Drittel von Heft 70 füllen sollte. Diese in Inhalt wie Form einmalige Aktion in zwei Schritten verfuhr nach einem Modus, der das editorische Gebahren seit den Anfängen auszeichnet: kühn auf der einen Seite, vorsichtig auf der anderen – was ich noch spezifizieren werde.
           Bevor ich jedoch auf die Besonderheiten von Camera Austria eingehe, wozu mir das Vorliegen des Index ein guter Anlass zu sein scheint, muss meine eigene Rolle kurz beleuchtet werden. Ich gehöre zu den Autoren der Zeitschrift, habe für einige frühe Ausgaben den Satz bewerkstelligt und 1984 den ersten Index zusammengestellt. An die Zusammenarbeit mit den Herausgebern erinnere ich mich ebenso gern, wie ich mich gelegentlich über dies und jenes geärgert habe. Ich bin also in jeder Hinsicht befangen, was aber kaum dazu angetan ist, meine Meinung hintanzustellen. Dann dürfte man sich ja niemals zu einer Arbeit äußern, mit dessen Autor oder Autorin man jemals gemeinsam ein Projekt verwirklicht hat.
            Lassen Sie mich mit den Personen beginnen: Gründer und Herausgeber seit der ersten Nummer ist Manfred Willmann, ein profilierter Grazer Fotograf, Vertreter des Dokumentarismus der 1970er/80er Jahre, dem in vielen seiner bildlichen Äußerungen eine überaus sinnliche Beschreibung der ländlichen Verhältnisse gelungen ist. Ihm zur Seite und verantwortlich für die redaktionellen Belange steht Christine Frisinghelli, eine aufmerksame Beobachterin zeitgenössischer Diskurse zur Fotografie, zudem eine vorzügliche Autorin, die leider allzu selten ihre Ansichten zu Papier bringt. Auf einen einfachen Nenner gebracht: ein Team, das sich gut ergänzt, der eine mehr dem Bild zugetan, die andere gleichermaßen den Texten.
           Willmann ist zudem verantwortlich für die gestalterischen Aspekte, wobei sich das Erscheinungsbild, was den Innenteil betrifft, seit den Anfängen kaum geändert hat. Als Vorbild der Textteile fungierte seinerzeit eine Literaturzeitschrift, die manuskripte , die seit 1960 erscheint und in derselben Künstlergemeinschaft Forum Stadtpark beheimatet ist, wie es für viele Jahre die Camera Austria war. Wenn im Gegensatz zu den Literaten in der Fotozeitschrift die Autorennamen jeweils in größeren Lettern gesetzt sind als die Überschriften, deutet dies tendenziell auf einen Nominalismus bei der Auswahl der Personen, die ihre Fotoarbeiten vorstellen oder zu Wort kommen. Jedenfalls gilt die Beachtung zuvorderst dem Protagonisten, erst dann dem Werk. Auch bei der Wahl des Namens der Zeitschrift hat man sich an eine seit langem bestehende Institution angelehnt, nämlich an die von 1922 bis 1981 erschienene Schweizer Fotozeitschrift Camera . Das Redaktionsteam agierte öfter in wechselnder Besetzung, und seit der Nummer 51 von 1995 erscheint Camera Austria in dem gleichnamigen Verein. Leider verrät der vorliegende Index solche Neuerungen ebenso nicht wie andere Veränderungen im Impressum.

 

Camera Austria Camera Austria Camera Austria
Camera Austria, Nr. 1, 1980, Umschlag Camera Austria International, Nr. 69, 2000, Umschlag Camera Austria International, Nr. 100, 2007, Umschlag

 

            Wenn sich auch die Form der Darbietung im Inneren der Hefte nicht wesentlich geändert hat, so ist man, was die inhaltliche Ausrichtung betrifft, unter Prämissen angetreten, die bald nicht mehr gelten sollten. So heißt es im Editorial der ersten Nummer: „CAMERA AUSTRIA ist die einzige Zeitschrift, die sich mit den vielfältigen Aktivitäten auf dem Gebiet der Fotografie in Österreich beschäftigt, mit der Arbeit der Fotografen, mit der Tätigkeit der Fotovereine und mit den Projekten der Ausstellungsmacher.“ Mehr und mehr sollte sich jedoch der Schwerpunkt auf internationale Erscheinungen verlegen, wobei der Blick auf die Entwicklung in Österreich immer sehr stark auf die nähere Umgebung fokussiert blieb. Auf ebenso witzige wie bekennende Weise drückt sich diese Orientierung in Heft 3 von 1980 aus, das dem Thema Europäische Fotografen, Teil 1: Steiermark gewidmet ist. Darüber hinaus schaute man anfangs gerne in Richtung USA, später auch nach Italien oder Japan, was sich dem mit den Herausgebern befreundeten Seiichi Furuya verdankt, der in Graz lebt und zum ersten Heft ein Porträt seiner Frau für den Umschlag beigesteuert hat.
           Anregen lässt man sich – insbesondere in den ersten Jahren – nicht selten von der ausländischen Konkurrenz, so von der ähnlich konzipierten, wenn auch die inländischen Gegebenheiten mehr berücksichtigenden holländischen Fotozeitschrift Perspektief (1980 bis 1995), gelegentlich auch von der westdeutschen Fotografie (1977 bis 1985), um nur zwei Beispiele anzuführen. Nobuyoshi Araki wird Ende 1993 erstmals in Heft 45 von Camera Austria gewürdigt, nachdem perspektief in der Ausgabe vom Dezember 1982/Januar 1983 einen 16seitigen Beitrag geliefert hat. Und Fischli & Weiss finden in Heft 21 von 1986 Berücksichtigung, nachdem die Fotografie im Jahr davor über das Künstlerduo berichtet hat. Vielen anderen Bildautorinnen und -autoren hat man in Camera Austria jedoch früher Beachtung geschenkt, und auch in anderer Hinsicht war man manchen Kollegen voraus. Beispielsweise erschienen die Beiträge bereits ab Heft 4 von 1980 zusätzlich in Englisch, wozu sich Perspektief erst zwei Jahre danach entschließen konnte; farbigen Druck gab es in Camera Austria ab der zweiten Ausgabe von 1980, in Perspektief erst ab 1986.
            Dass Camera Austria die meisten europäischen Fotozeitschriften, die in den 1970er und 80er Jahren gegründet worden waren, überlebt hat, liegt nicht allein in der Aufgeschlossenheit gegenüber allen möglichen Erscheinungen und Tendenzen der Fotokunst, wobei auch mancher Kitsch Eingang auf die Seiten gefunden hat. Das Spektrum reicht von Valie Export bis Jeff Koons, von Florian Schwinge bis John Hilliard. Die Verdienste liegen zweifellos vor allem darin, das europäische und teilweise außereuropäische Fotoschaffen aufmerksam verfolgt und zur weitgehend angemessenen Darstellung gebracht zu haben. Als Plattform boten sich nicht zuletzt die von 1980 bis Ende der 1990er Jahre veranstalteten Symposien an, deren Referate den Weg in die Zeitschrift gefunden haben.
           Vor allem aber kann sich die Zeitschrift auf die Förderung durch öffentliche Stellen stützen, wie es in einem solchen Ausmaß in anderen Ländern nicht denkbar ist. Immer schon nahm sie von allen Fotoinstitutionen den größten Anteil am Budget des Bundes in Anspruch, zudem verfügt man seit Jahren über Landesmittel und die Unterstützung durch die Stadt Graz. Die Abhängigkeit von Entscheidungen diverser Gremien, die wechselnd besetzt sind und sich aus dem kleinen Kreis einheimischer Fotografen, Galeristen, Museumsleute und Publizisten (und selbstverständlich der weiblichen Vertreter) zusammensetzen, verführt zur Zurückhaltung in der Beurteilung der von Landsleuten verantworteten Veranstaltungen und Publikationen. Wer heute schlechte Noten erhält, könnte morgen zu jenen gehören, die über die Subventionen entscheiden. Ich kann mich nicht erinnern, dass jemals die Aktivitäten einer im Lande tätigen Person als unzureichend, mäßig oder sonst wie negativ bewertet worden wäre. Bevorzugt wird – bei allzu miserablen Ausstellungen oder Büchern – der beliebte österreichische Weg, indem einfach nicht darüber berichtet wird. Diese Diskrepanz einer Offenheit nach außen und einer eingeschränkten Sicht nach innen halte ich für das einzig wesentliche Manko dieser Zeitschrift.
           Neben den Bildleistungen, die zur Veröffentlichung gelangt sind, muss auf die Textbeiträge hingewiesen werden, denen schon früh einige Aufmerksamkeit geschenkt wurde. Zu Wort kamen und kommen Theoretiker und Praktiker, Historiker und Fotografen aus aller Welt, wobei ich aus der Fülle der Veröffentlichungen der etwa 800 Personen, die der Index auflistet, nur den Aufsatz „Argumente für eine konstruierende Fotografie“ von Herbert Molderings in Heft 4 von 1980 herausgreifen möchte. Dieser Essay – ein Jahr darauf in den kritischen berichten und im Jahr 2000 in der Theorie der Fotografie IV von Hubertus v. Amelunxen ein weiteres Mal wiedergegeben – gehört meines Erachtens zu den aufschlussreichsten Bestimmungen des Fotografischen im deutschsprachigen Raum der Nachkriegszeit.
           Und wenn man sich die überwiegend unkritische Auseinandersetzung der letzten Jahre mit dem Werk von Bernd und Hilla Becher ansieht, wirkt eine Passage in einem Pamphlet von Dieter Hacker und Andreas Seltzer, die sich gleichfalls in Heft 4 von 1980 ebenso freimütig wie die notwendige Distanz einfordernd geäußert haben, geradezu erfrischend: „Hätten mit ihrem wissenschaftlich systematischen Bewusstsein Bernd und Hilla Becher auch die Zigeunerunterkunft im KZ Auschwitz fotografieren können, die einigen der von ihnen fotografierten Industriebauten so auffallend gleicht? Bei schärferem Hinsehen geraten die Fotografien der Bechers ohnehin in die Nähe des berüchtigten Satzes von Renger-Patzsch, ‘daß es nichts gibt, das nicht schön sein könnte.'“
           Leider ist diese Nummer ebenso vergriffen wie etwa die Hälfte der 89 Einzel- und Doppelhefte von Nr. 1 bis 100. Ich bin recht froh, alle Ausgaben im Regal stehen zu haben: Sie bilden eine wichtige Informationsquelle zum Geschehen in der Fotowelt seit 1980. Der Index wird vielen, die sich mit dem Fotodiskurs der letzten Jahrzehnte beschäftigen, in Zukunft einige Sucharbeit ersparen. Er eröffnet den Weg zu diversen Facetten fotografischer Produktion und textlicher Kommentierung, wie sie nur wenige Fotozeitschriften unserer Tage aufweisen können.

Zitierte Texte
Christine Frisinghelli, Manfred Willmann und das Redaktionsteam von CAMERA AUSTRIA, „Aufruf zur Beteiligung“, Beilage zu Nr. 69, 2000, wiedergegeben samt der englischsprachigen Fassung im besprochenen Index , S. 34-35.
Dieter Hacker, Andreas Seltzer, „Foto Kaputt. Über die Grenzen des Fotografierens / Foto Kaput. On the Limitations of Photography“, in: Camera Austria , Nr. 4, 1980, S. 38-50, hier S. 42.
Herbert Molderings, „Argumente für eine konstruierende Fotografie / In Favor of a Construing Practice of Photography“, in: Camera Austria , Nr. 4, 1980, S. 80-85; kritische berichte , 9. Jg., 1981, Heft 3, S. 15-22; Hubertus v. Amelunxen, Theorie der Fotografie IV. 1980 – 1995 , München: Schirmer/Mosel, 2000, S. 106-114.
Manfred Willmann, ohne Titel [Editorial], in: Camera Austria , Nr. 1, 1980, S. 1.
Manfred Willmann and team, „Vorwort / Preface“, in: Camera Austria International , Nr. 65, 1999, S. 4 (Titel der Rezension).

September 2008

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© Timm Starl 2008

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