Fotokritik |
Timm Starl
Eine „moderne Circe“ oder
„der beste deutsche Photograph weiblichen Geschlechts“?
Die Riess
Fotografisches Atelier und Salon in Berlin 1918 – 1932
Hrsg. von Marion Beckers und Elisabeth Moortgat für Das Verborgene Museum e.V.
Mit Beiträgen von Thomas Ehrsam, Ottfried Dascher, Peter Sprengel, Karin Wieland
deutsch/englisch
Katalogbuch zur Ausstellung Das Verborgene Museum
zu Gast in der Berlinischen Galerie vom 6. Juni bis 20. Oktober 2008
Tübingen: Ernst Wasmuth, 2008
29,5 : 23,3 cm, 256 S., 228 Abb. in Duoton
€ 32,- im Museum, € 39,80 im Buchhandel
„Wer war die Riess [...]?“ Es gibt Bücher, die zu besprechen ein Vergnügen bereiten. Was sie häufig gemeinsam haben, sind Fragen, die zwar gestellt, aber nicht oder nicht vollständig beantwortet werden. Eines dieser seltenen Exemplare liegt vor mir, und es verlangt mit dem ersten Satz Auskunft, die jeder Monografie ansteht. Wenig später – und das unterscheidet diese Publikation von den meisten ihrer Art – bedauern die Herausgeberinnen, dass sie nicht mehr als Fragmente liefern würden. Denn die Quellenlage sei miserabel, und auch jahrelange Nachforschungen mehrerer Personen in Museen und Archiven, bei Weggefährten und Historikern hätten nur partielle Erfolge gezeitigt: „Person und Werk sind bis auf Weniges spurlos verschwunden.“ (8) So habe man auf nicht mehr als etwa 300 Presseabzüge und diverse Veröffentlichungen in Zeitungen und Magazinen zurückgreifen können, ja, nicht einmal der genaue Sterbetag sei zu ermitteln gewesen.
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Eine solche Ausgangsituation erfordert unübliche Vorgehensweisen. Marion Beckers und Elisabeth Moortgat haben nicht nur das spärlich vorhandene Material aufmerksam studiert, öffentliche und private Äußerungen von Zeitgenossen zusammen getragen, Ämter konsultiert, sondern für manche Fragestellungen Autorinnen und Autoren aus Fächern außerhalb der Foto- und Kunstgeschichte gewonnen. Dazu musste manchmal die Richtung gewechselt werden, die vom Werdegang zum Werk führt, und versucht werden, von Bildlösungen und vereinzelten Aufzeichnungen der Protagonistin, ihrer Freunde und Kommentatoren auf die Person und ihre Arbeitsweise, ihre Vorlieben und Abneigungen zu schließen. Einschätzungen, die solcherart gemacht werden, bergen die Gefahr der Überinterpretation von Details, doch weil auch das zeitgenössische Bildschaffen zu Vergleichen herangezogen wurde, bedurfte es nicht der Spekulation. Und man scheute nicht – wie erwähnt – die eine oder andere Überlegung nicht zu Ende zu führen, wenn sich keine Klärung abzeichnete.
Frieda Gertrud Riess kommt 1890 im westpreussischen Czarnikau/Czarnków als Tochter eines Kaufmanns zur Welt. Wie zahlreiche jüdische Bewohner der Gegend um Posen zieht die Familie um 1898 nach Berlin. Riess interessiert sich für Bildhauerei, bevor sie von 1913 bis 1915 eine Ausbildung als Fotografin am Lette-Verein absolviert, 1917 oder 1918 eröffnet sie ein Atelier, verheiratet sich 1918 mit dem Schriftsteller Rudolf Leonhard, erhält Eingang in Künstlerkreise. Ihre Klientel findet sie vornehmlich unter Literaten, aber auch die Größen und Sternchen von Bühne und Film, Männer aus Politik und Diplomatie sowie deren Ehefrauen suchen das Studio am Kurfürstendamm auf. Mitte der 20er Jahre zählt die Fotografin zu den führenden Porträtistinnen der Hauptstadt. Neben Bildnissen entstehen Tanz- und Aktstudien, fotografiert sie am Theater und illustriert Novellen. 1932 folgt sie, seit zehn Jahren geschieden, dem französischen Botschafter Pierre de Margerie, mit dem sie eine Liaison verbindet und der nach Paris zurückkehrt. Von den dortigen Aktivitäten ist wenig bekannt; Ende der 30er Jahre erkrankt Riess, ist gelähmt, stirbt wohl 1957 verlassen und verarmt.
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Beckers und Moortgat begnügen sich nicht mit der Aufzählung von biografischen Daten, sondern skizzieren zu den einzelnen Stationen das Umfeld, in dem die Protagonistin agiert, seien es die Ausbildungsstätte, die fotografische Konkurrenz, das Milieu, in dem sie sich bewegt, die politischen und kulturellen Gegebenheiten in Berlin. Hervor tritt eine ehrgeizige Frau, die die Nähe der Prominenz suchte, an Politik nicht interessiert war, ihr Judentum nicht reflektierte. An einem Selbstporträt mit Papagei von 1922 lässt sich eine künstlerische Disposition ablesen, die sich an den piktorialistischen Vorgängern und Kollegen wie Nicola Perscheid orientiert hat. Nur selten tauchen Muster der Art déco in Kostümen oder als Hintergrund auf, und die Studie einer Coupletsängerin von 1923 muss wohl als Ausnahme gesehen werden. Riess tritt auch später ihren Modellen nicht so nahe wie manche Vertreter des Neuen Sehens, in deren Kopfstudien sich die individuellen Züge zugunsten extremer Gegenstellungen von Licht- und Schattenpartien beinahe gänzlich verlieren. Vielmehr fällt das fein dosierte Licht auf die Gesichter, die oft frontal der Kamera zugewandt sind und sich vor der meist dunklen Kleidung und einem gewöhnlich neutral gehaltenen Fond abheben. Besondere Aufmerksamkeit wird der Haltung der Hände gewidmet, wobei oftmals ein expressives Moment aus dem Bild spricht. |
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Ottfried Dascher widmet sich der Beziehung der Fotografin zu dem einflussreichen Sammler und Galeristen Alfred Flechtheim, der den Künstlern der Moderne zugetan ist und unter anderem über eine bedeutende Kollektion kubistischer Werke verfügt, gleichwohl 1925 seine erste und einzige Fotoausstellung mit Werken von Riess bestreitet. Ausgehend von einem Porträt Gerhard Hauptmanns von 1922 und dessen Einstellung zum Medium Fotografie geht Peter Sprengel den Begegnungen zwischen dem Schriftsteller und seiner Frau mit der Fotografin nach. Thomas Ehrsam analysiert „Gottfried Benns Widmungsgedicht an Die Riess“ (134), veröffentlicht 1925. Bildnisse von Mussolini und seiner heimlichen Geliebten Margherita Sarfatti, einer einflussreichen Kritikerin, Sammlerin und Ausstellungsmacherin, 1929 in Rom entstanden, bieten Karin Wieland Anlass, die Einschätzung des Diktators durch liberale deutsche Intellektuelle zu beleuchten. Diese hielten dem Diktator seine Offenheit gegenüber den Künsten zugute, und so stand Frieda Riess nicht allein mit ihrer naiven Bewunderung: „Nun bricht sein freundliches Gesicht den eisigen Bann [...]“ (170), schreibt sie, und als freundlichen Herrn mit leicht gesenktem Blick fotografiert sie ihn auch.
Wie unterschiedlich ihre Arbeit von den Zeitgenossen eingeschätzt wurde, vermitteln die nahezu 30 Rezensionen von bekannten und heute unbekannten Autoren, darunter Kurt Tucholsky, Fritz Stahl, Paul Fechter, Max Deri und anderen, erschienen von 1923 bis 1930. Max Osborn erkennt 1922 ihr „Geschick“, eine „verfeinerte malerische Wirkung herauszubringen und doch das Sachlich-Dokumentarische nicht zu verletzen“ (140); Karl Scheffler bemängelt 1923, dass „[n]eben tüchtiger Handwerksfähigkeit [...] ein Feuilletonismus am Werk [sei], der auf die Dauer die Vorzüge paralysiert.“ (144); Kurt Pinthus attestiert ihr 1925, sie sei „der beste deutsche Photograph weiblichen Geschlechts“ (142), und Fritz von Unruh hält sie 1928 für „eine moderne Circe“ (154).
Frieda Riess war eine moderne Frau, was die berufliche Seite und die Gestaltung ihrer privaten Beziehungen betrifft. Sie tritt ebenso als konventionelle Figur in Erscheinung, was ihr Faible für die Reichen und Berühmten angeht und wie sie diese ins Bild gesetzt hat. Zweifellos war sie eine interessante Erscheinung in den turbulenten Jahren Berlins zwischen 1918 und 1930. Die Texte und Illustrationen sowie deren elegant-unaufdringliche Präsentation werden –trotz der misslichen Datenlage, das muss betont werden – der Person, dem Werk, soweit zugänglich, und der Epoche auf besondere Weise gerecht. Die Abbildungen sind Wiedergaben aus dem besprochenen Band.
Juli 2008 ................................................................................................................................................................
© Timm Starl 2008
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