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Fotokritik

 

Timm Starl
Das Buch vom Buch über Wien

Michael Ponstingl
Wien im Bild
Fotobildbände des 20. Jahrhunderts
(Beiträge zur Geschichte der Fotografie in Österreich, Bd. 5)
Wien: Christian Brandstätter, 2008
21,5 : 21,1 cm, 204 (+1) S., 199 Abb. in Farbe
Broschiert
€ 19,90

Als um 1900 der Umbau der Metropole weitgehend abgeschlossen ist, kommt ein Medium auf, in dem Gegenwart und Zukunft der Stadt verhandelt werden: der fotografisch illustrierte Bildband. Mit ihm lassen sich nicht nur ideale Städte entwerfen, sondern es kann auch eine ideale Sicht auf die vorhandenen Gegebenheiten geboten werden. Der Architekt Paul Schultze-Naumburg entwickelt städtebauliche Kategorien und verbreitet sie 1906 in seinen Kulturarbeiten . In Gegenüberstellungen plädieren Abbildungen für die je bessere Lösung. Andere Autoren und Verlage präsentieren Tafelbände, die zur Besichtigung der Sehenswürdigkeiten und zu Ausflügen in die nähere Umgebung einladen. Die technischen Voraussetzungen für solcherart Darstellungen ist seit den 1880er Jahren gegeben, nachdem neuartige Kameras, Verschlüsse und Negativmaterialien angeboten worden waren, die auch Schnappschüsse auf belebten Straßen erlaubten, und die Autotypie in Gebrauch kam, die den gleichzeitigen Druck von Bildern und Text ermöglichte.
           Was den Bildband gegenüber seinen Vorgängern, den Alben, Mappen und Leporellos mit aufkaschierten beziehungsweise beigelegten Originalabzügen unterscheidet, ist der Personenkreis, der darüber befindet, welche Aufnahmen in welcher Aufmachung erscheinen sollen. Nicht mehr der Fotograf, der die Schauplätze aus eigener Anschauung kennt und zumeist auch als Verleger auftritt, trifft die Auswahl, sondern der Buchverlag oder der von ihm beauftragte Herausgeber aufgrund der ihm vorliegenden Abzüge, die jedoch bereits ein medial vermitteltes Bild der Stadt abgeben. Auch vermag der Fotograf neben gebundenen Zusammenstellungen, die nicht identisch sein müssen, einzelne Abzüge in unterschiedlichen Größen anzubieten, während eine Buchpublikation solche Varianten zulässt. Andererseits können im Buch die Abbildungen um Texte ergänzt und diese nach Gutdünken kombiniert werden, wogegen die fotografischen Hervorbringungen des 19. Jahrhunderts lediglich die Identifizierung im Negativ oder auf dem Untersatzkarton oder einige der Mappe beigelegte einleitende Textblätter gekannt hat. Den Bedarf an einzelnen fotografischen Wiedergaben, befriedigen die Postkartenverlage ab der zweiten Hälfte der 1890er Jahre mit maschinell hergestellten Abzügen oder gedruckten Wiedergaben.
           Am Beginn des 20. Jahrhunderts steht also den Besuchern wie Einwohnern der Städte anderes Material in neuer Form zur Verfügung, um ihre Bildbedürfnisse zu stillen. Zu der Frage, inwieweit Buch- und Ansichtskartenproduktion sich hinsichtlich Bildentwürfen und -auswahl von den Vorgängern unterscheiden, sind bislang keine Untersuchungen angestellt worden. Und auch die vorliegende Studie setzt bei den „Fotobildbänden“ an und lässt die Vorgeschichte außer Acht. Es geht demnach nicht um die Metropole Wien und die urbanen Veränderungen im 20. Jahrhundert sowie deren fotografische Umsetzung, sondern um die Verwendung von fotografischen Vorlagen in Büchern, welche für sich bereits einen Diskurs zur Stadt darstellen. Die Bestimmung und Bewertung dieserart Verlagsprodukte bedeutet also einen Diskurs über einen Diskurs und sind demnach Metakritik. Dieserart Rückblicke sind im letzten Jahrzehnt Mode geworden, indem bemerkenswerte Fotobücher und Bildbände in Fachpublikationen vorgestellt werden, so beispielsweise in den beiden Bänden von Martin Parr und Gerry Badger von 2004 und 2006 sowie jüngst von der Zeitschrift Photonews . Geschichte interessiert zunehmend als Mediengeschichte, die Bedeutung der Gegenstände tritt hinter den Modi ihrer bildlichen Verwertung zurück.

 

Felix Salten Georg Riha, György Sebestyén
Felix Salten, Wurstelprater, Mit 75 Originalaufnahmen von Dr. Emil Mayer, Wien, Leipzig: Brüder Rosenbaum, [1911] (S. 39) Georg Riha, György Sebestyén, Der Wiener Naschmarkt, Wien: Edition Tusch, 1974 (S. 86)

 

            Michael Ponstingl eröffnet mit einer „Kritik des Konzepts ‘Bildband'“ (11 bis 15). Diese endet damit, dass er sich für die weitläufigste Definition entscheidet, nach der ein Bildband „für jede denkbare Form von ‘buchförmiger Foto-Text-Konfiguration‘“ steht. Daher seien ihm „alle Bücher, die sich in Wort und Bild auf Wien beziehen, [...] in den Blick“ geraten. Und er unterscheide auch nicht, “[o]b diese ‘Bezugnahme' auf Wien beansprucht, die Stadt ‘ganzheitlich' oder Ausschnitte davon darzustellen“. Durch diesen großzügig bemessenen Horizont fühlt sich der Autor davon befreit, „einen abgeschlossenen Korpus an Wien-Bildbänden zu erarbeiten“ (15). Es erlaubt ihm aber zugleich, jedwede Publikation als Exempel herauszugreifen und sie als repräsentativ für ein Genre darzutun. Denn nicht nur kennt der Leser nicht den gesamten Umfang der Bildbandproduktion zu Wien, er kann sich auch keine Vorstellung von bestimmten Häufigkeiten innerhalb der von Ponstingl gewählten Gruppierungen und Untergruppen machen. Denn in den entsprechenden Abschnitten werden manche Bücher sehr ausführlich, andere marginal behandelt, während die „Bibliografie“ die 251 Titel nach Erscheinungsjahren auflistet.
           Jedenfalls kann von einer gleichgewichtigen Berücksichtigung von Arten und Autoren kaum die Rede sein. Sie ist allerdings auch nicht zu verlangen und ohnehin schwer einzulösen, bedenkt man nur die unterschiedliche Quellenlage, doch wäre eine einschränkende Bemerkung des Autors angebracht gewesen. Denn die unterschiedliche Distanz zu manchen Editionen und die Ausführlichkeit, mit der andere bedacht werden, leuchten nicht unbedingt ein. Es kann auch nicht die zeitgenössische Akzeptanz durch das Publikum als Kriterium herangezogen werden, weil Rezensionen nicht angeführt werden und damit keine rezeptionsgeschichtlichen Anhaltspunkte vorliegen. So wird zum Beispiel den Veröffentlichungen der Jahre zwischen den Weltkriegen weniger Aufmerksamkeit zuteil als jenen der Perioden davor und danach. Das liegt sicherlich auch daran, dass zu einzelnen Bänden bereits ausgiebig Sekundärliteratur vorliegt, wie zu Emil Klägers Durch die Wiener Quartiere des Elends und Verbrechens aus dem Jahr 1908, mit Fotografien von Hermann Drawe (74 bis 77). Wogegen sich die umfangreichen Auslassungen zu den Veröffentlichungen von Lisl Ponger von 1990, 1993 und 1995 sowie 2004 (156 bis 165) vor allem der Begeisterung Ponstingls für die kritischen Ansätze der Fotokünstlerin verdanken (die ich übrigens durchaus teile). Auch wird manch ein Verlagshaus – wie R. Lechner (Wilh. Müller) – mit seinem Werdegang und den Praktiken vorgestellt (69 bis 74), die meisten anderen bestenfalls en passant erwähnt.

 

Hans Riemer Yoichi R. Okamoto
Hans Riemer, Perle Wien. Ein Bilderbuch aus Wiens schlimmsten Tagen,
Wien: Jugend & Volk, 1946 (S. 106)
Okamoto sieht Wien. Die Stadt seit den fünfziger Jahren, Photographien Yoichi R. Okamoto, Essays Paula Okamoto,
Wien: Tafelspitz, 1987 (S. 186)

 

           Die Buchproduktion wird nach fünf Hauptkategorien geordnet, die wie folgt überschrieben sind: „Touristische Bildbände oder: Wien als Ware“, „Journalistische Bildbände – Fotoreporter erkunden die Stadt“, „Bildbände als politische Propaganda“, „Individuelle Mythologien, intermediale Partituren und offene Dissidenz – künstlerische Bildbände“ sowie „Wissenschaftliche Bildbände zwischen Dokumentation, Fotografien edieren und Geschichtsschreibung“. Die Abgrenzungen sind gut gewählt, wenn auch da und dort Überschneidungen vorkommen, die aber auch bei anderer Einteilung nicht zu verhindern gewesen wären. Dass unter den „touristischen Bildbänden“ die illustrierten Reiseführer des 20. Jahrhunderts – in den Anfängen noch spärlich, in den letzten Jahrzehnten oft ausgiebiger mit Abbildungen ausgestattet – nicht und auch nicht an anderer Stelle behandelt werden, bleibt unverständlich. Wie auch nicht darauf eingegangen wird, dass manche Veröffentlichungen zu Wien am Ende Aufnahmen von Orten und Landschaften der Umgebung enthalten, die bei den Städtern als Ausflugsziele beliebt waren und in den Büchern gewissermaßen als erweiterter Stadtraum deklariert wurden. Insgesamt aber mag man den scharfsinnigen Analysen und gelegentlich rigide vorgetragenen Wertungen von editorischen Besonderheiten durchaus folgen. Wenn auch ab und an ein kulturoptimistischer Unterton das Wirken von Verlegern und Herausgebern begleitet.
           Der mit Abstand spannendste Abschnitt widmet sich den „Paratexten“ (17 bis 43), wozu all jene „Begleiterscheinungen“ neben Bild- und Textteil zählen, die jedes Buch umrahmen, ihm seine Form geben und Lesarten „präfigurieren“ (10). Gemeint sind: Buch- und Reihentitel, Namen von Herausgebern, Text- und Bildautoren, Umschlagillustration, Format von Buch und Abbildungen, Klappentexte, Impressum, Ausstattung und Gestaltung und anderes bis hin zum Preis der Publikation. Dabei betritt Ponstingl großteils Neuland und kann sich auf nur wenig publiziertes Material zum Thema stützen. Es werden jedoch nicht allein die einzelnen Faktoren und Mittel angesprochen, sondern ihr je besonderer Einfluss auf die Lektüre von Bildbänden aufgezeigt. Selbst wenn die ausgewählten Beispiele aus dem Bereich der illustrierten Wien-Bücher stammen, betreffen die Ausführungen nicht nur die Städteliteratur, sondern können auch für das gesamte Feld der illustrierten Buchausgaben geltend gemacht werden.
           Insofern ist es schade, dass in der „Bibliografie“ (190 bis 201) Angaben zum Buchformat, zur Anzahl Seiten, Abbildungen und Größe der Wiedergaben, zur Reproduktionstechnik und zu Auflagenzahlen fehlen, Die letzteren wären nicht in jedem Fall zu ermitteln gewesen, doch die übrigen Daten hätte man nach Autopsie ohne weiteres vermerken können, zumal offensichtlich die allermeisten Exemplare in zumindest einer Auflage vorgelegen haben. Zwar werden Buchmaße und Seitenzahlen angegeben, sofern Umschlag oder Innenteile abgebildet sind, doch ergibt sich daraus kein Gesamtbild dessen, was einzeln und im Vergleich zur Debatte steht. Es ist ja nicht von unwesentlichem Gewicht für die Einschätzung eines Buches, ob es Hoch- oder Querformat aufweist, die Abbildungen ausschließlich ganzseitig oder diese in Farbe oder Schwarzweiß reproduziert sind.

 

Rudolf Bachmleitner/Peter Kodera Lisl Ponger
Der Wiener Dom , von Rudolf Bachleitner in Gemeinschaft mit Peter Kodera (Photographie), Wien: Wiener Dom-Verlag, 1966 (S. 166) Lisl Ponger, Fremdes Wien , Einleitung von Ernst Schmiederer, ein Essay von Elfriede Jelinek, Gespräche aufgezeichnet von Walter Eckermann, Kulturbeiträge von Eva Ribarits, englische Zusammenschau von Tim Sharp, mit einer Musikmontage „A Tourist in the Soundscape“, Klagenfurt, Salzburg, Wien: Wieser, 1993 (Schuber, S. 158)

 

           Wien im Bild ist als Band 5 der Beiträge zur Geschichte der Fotografie in Österreich , die von der Fotosammlung der Albertina herausgegeben werden, erschienen. Nachdem seinerzeit die Idee der Institutionalisierung eines zentralen Fotomuseums bald ad acta gelegt wurde und auch der Ausstellungsbetrieb zunehmend durch Auszehrung gekennzeichnet war, hat man sich zur Herausgabe der Reihe entschlossen. Damit wird der wissenschaftlichen Erforschung der Bestände Priorität eingeräumt und das öffentliche Auftreten mit Buch- und Katalogpublikationen bewerkstelligt. Die durchwegs gut ausgestatteten und aufmerksam gestalteten Bände werden vergleichsweise billig angeboten, wobei einzelne in Übersetzungen vorliegen oder bereits eine zweite Auflagen erleben. Die Arbeit von Michael Ponstingl entspricht der bisherigen Linie, den Bestand der Sammlung sukzessive aufzuarbeiten, indem eng gefasste Themen gesetzt und von eigenem Personal bearbeitet werden. Die intensive und kritische Beschäftigung mit dem „Fotobildband“ am Beispiel Wien liefert insbesondere Verlagen, Herausgebern und Layoutern von einschlägigen Buch- und Katalogpublikationen wertvolle Analysen und Hinweise, darüber hinaus bedeutet das Buch einen gewichtigen Beitrag zur Praxis der Bildvermittlung fotografischer Aufnahmen und einen notwendigen Baustein zu dem Komplex ‘Stadt als Fotografie'.

Zitierte Literatur
Martin Parr, Gerry Badger, The Photobook: A History , Vol. I und II, London: Phaidon Press, 2004 und 2006
Das Fotobuch , Mit Beiträgen von Ferdinand Brüggemann, Thomas Hornickel, Roland Jaeger, Christoph Schaden und Thomas Wiegand, Beilage Photonews Thema zu Photonews , Nr. 5, 2008
Paul Schultze-Naumburg, Kulturarbeiten, Band IV: Staedtebau , München: Georg D. W. Callwey, Kunstwart-Verlag, 1906
Die Abbildungen von Einbänden und Umschlägen sind Wiedergaben aus dem besprochenen Band.

Juni 2008

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© Timm Starl 2008

PDF - 385kb

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