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Fotokritik

 

Timm Starl
Himmel und Erde in Hainburg

Ausstellung
„Landschaft. Zwei Sammlungen. Fotografie aus drei Jahrhunderten“
Hainburg, Kulturfabrik: 1. Dezember 2007 – 29. Februar 2008

Katalog
Friedrich Grassegger, Fritz Simak (Hrsg.)
Landschaft / Landscape
Zwei Sammlungen. Fotografie aus drei Jahrhunderten /
Two Collections. Three Centuries of Photography
Wien: Christian Brandstätter, 2007
23,5 : 26,5 cm, 159 (+1) S., 146 groß- und 225 kleinformatige Abb. in Farbe
Gebunden
€ 20,- in der Ausstellung, € 29,90 im Buchhandel

Wer kennt schon Hainburg? Wer weiß schon, dass es sich um die östlichste Stadt Österreichs handelt, nur eine Bahnstunde von Wien entfernt? Und dass sie eine 2,5 km lange Stadtmauer, drei Tore und 15 Türme aus dem 13. Jahrhundert besitzt? Nichts davon war mir bekannt, als ich aufgebrochen bin, um eine Fotoausstellung zu besuchen. Doch bereits auf dem Weg dorthin begegnet man den mittelalterlichen Anlagen. Nähert sich die Schnellbahn dem „Personenbahnhof“ – der so heißt, weil Hainburg zwar nicht mehr als etwa 5.600 Einwohner zählt, aber über drei Stationen verfügt – nähert sich also die Bahn der mittleren Haltestelle, geht die Strecke plötzlich ein wenig bergan und führt über ein Viadukt. Als sollte auf die alten Gemäuer auf der einen und die Donau auf der anderen Seite aufmerksam gemacht werden. Nun kann der Fahrgast einen Blick auf die Auen am anderen Flussufer werfen, auch ist er dem Himmel näher gekommen, und zudem passiert er die ehemalige Zigarettenfabrik, wo die Veranstaltung stattfindet – ein passendes Entree für eine Schau, die dem Thema Landschaft gewidmet ist.
           Meine Neugier war durch die ein wenig pompös anmutende Ankündigung geweckt worden: Ein Sammler habe aus zwei Kollektionen Arbeiten gewählt, die aus drei Jahrhunderten und von nahezu 100 Bildautoren stammen würden. Wie aber, fragte ich mich, mochte er die Stücke aus der eigenen Sammlung, die vornehmlich historische Werke enthält, mit solchen aus der Sammlung des Landes Niederösterreich kombinieren, die sich zum guten Teil aus Arbeiten von Fotokünstlern der letzten drei Jahrzehnte zusammensetzt, die irgendwie mit dem Bundesland in Verbindung gestanden sind oder stehen? Dazu kommt, dass Fritz Simak, der Sammler und Kurator, selbst fotografiert, also auf die eigenen Landschaftsaufnahmen kaum verzichten wird. Um es vorweg zu nehmen: Ihm ist eine Präsentation gelungen, die man mit Erstaunen durchmisst, immer wieder angenehm überrascht von Bildfolgen, in denen frühe und späte Werke aufeinander bezogen werden und manches Bekannte in neuem Licht erscheint.
           Die gut 220 Exponate stammen etwa zur Hälfte aus den beiden Sammlungen und werden in zwölf Abteilungen vorgeführt. Ein kurzer Text führt jeweils in das Thema ein. Den Anfang machen Blicke auf Mond und Mars, vom Raumschiff auf die Erde, ferner auf Gebirgspartien und Wüsten, auf eine Blumenwiese (von Ernst Haas aus dem Jahr 1965) und das Dickicht des Urwalds. Diesem Prolog, der sich „Die Welt“ nennt, folgen gesondert gruppiert Ansichten vom „Nationalpark Donau-Auen: Hainburg“ und vom „Nationalpark Yosemite“ in den USA. In beiden Strecken wird die Natur mit einigem Pathos inszeniert: von Ansel Adams in den 1930er bis 60er Jahren nicht wesentlich anders als von Nikolaus Korab 2006. Aufnahmen von Bäumen und Waldstücken lockern da wie dort die Folge der gravitätisch auftrumpfenden Landschaften.
           Die folgenden Abteilungen enthalten mehrfach Bilder, die den Betrachter gewissermaßen auf sich zurückwerfen. Ist bei Aufnahmen gegen den Himmel kein Horizont oder hinter Wasserflächen kein Ufer sichtbar, vermögen wir nicht, dem Blick des Fotografen zu folgen. Denn es fehlt ein Anhaltspunkt, damit vom Bildobjekt auf den Standort der Kamera geschlossen werden kann. Ist diese senkrecht auf eine Wolkenformation gerichtet oder in schrägem Winkel? – fragt man sich bei den Aufnahmen von Werner Schnelle aus dem Jahr 1999 oder den Polaroids von Inge Dick von 2000; wo ist oben, wo unten? – das lässt die 2001 entstandene Unterwasseraufnahme von Brigitte Kordina nicht erkennen. Bekannt sich solche Ansichten unter anderem aus der Meteorologie seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert und den „Equivalents“ von Alfred Stieglitz aus den 1920er Jahren, gleichwohl irritieren und faszinieren diese ‘bodenlosen’ Perspektiven immer wieder. Nicht nur die Position des Bildautors ist unbestimmt, sondern auch der eigene Blickwinkel gegenüber dem Medium wird in Frage gestellt.

 

Paul Horn Paul Horn: „Neufundland“, 2002, 95 : 125 cm (aus dem besprochenen Band)

 

           Die „Ausblicke“ sind den panoramatischen Neigungen mancher Landschaftsfotografen, die „Künstlichen Welten“ dem Täuschungspotential der Fotografie gewidmet. Ohne weiteres hält man die Wolken aus Watte und das Meer aus Plastikfolie in der Komposition von Paul Horn für reale Erscheinungen an der Küste Neufundlands, wenn nicht ein Hinweis einen zweiten Blick provozierte. Und schon hat man sich bei einem lässigen Schauen ertappt, das im Vorbeischlendern bloß das tiefe Blau des Himmels registriert und das Bild in die Schublade der gefälligen Motive abgelegt hat. In der „Kulturlandschaft“ treten die skurillen Gebilde aus Beton hervor, die Margherita Spiluttini in den 1990er Jahren an den Tunneleingängen von Autobahnen entdeckt hat. Der „Berg“ wird mit einer einzigen Kreation abgehandelt, dies aber sehr eindrücklich: Der „Dobratsch“ von Wolfgang Reichmann stammt aus den Jahr 2002 und besteht aus 182 Teilaufnahmen in den Maßen 49 x 39 cm. Weil die Wand der Ausstellungshalle nicht hoch genug ist, musste die unterste Reihe weggelassen werden, was dem Bild jedoch eine besondere Facette eröffnet. Das Bergmassiv wird nicht mehr von einer Autobahntrasse begrenzt und verliert sozusagen Boden unter den Füßen, erscheint damit noch mächtiger, wirkt aber zugleich ein wenig abgehoben, als ginge er auf Distanz vor zudringlichen Blicken, die lediglich Orientierung suchen und sich nicht auf das Gesamtbild einlassen wollen.
           „Struktur“ vereint Bildlösungen, die meist dem Abstrakten huldigen. Mit „Bildpaare“ hat sich der Kurator eine Art Spielwiese geschaffen, auf der ähnliche Motive aus unterschiedlichen Gegenden, von zwei Fotografen oder aus anderen Zeiten gegeneinander platziert werden. Dann figurieren die Gesteinsbrocken eines Otto Schmidt, aufgenommen 1893 in Südtirol, als Heliogravüre wiedergegeben und für eine Mappe mit Studienblättern für Künstler angefertigt, neben jenen von John Pfahl, 1975 in Lewinston, New York festgehalten und als Dye Transfer präsentiert. Ein Epilog beschließt den Rundgang, enthaltend alle möglichen Bilder, die in manche Abteilungen gepasst hätten, aus vielerlei Herkunft und allen drei Jahrhunderten. Ein Sammelsurium, möchte man sagen, zugleich aber ein so banaler wie moderater Verweis auf den unendlichen Kosmos der Fotografie.

 

Kulturfabrik Hainburg Kulturfabrik Hainburg: Blick auf den Abschnitt „Kulturlandschaft“

 

           „Die Ausstellung erzählt von den Ansprüchen der Sammler, den Eigenarten von Fotografinnen und Fotografen, der Häufigkeit und Exklusivität mancher Motive, dem Unsinn der Frage nach der adäquaten Darstellung von Landschaft als schwarzweiße oder farbige Aufnahme, von modernen Bildentwürfen damals und traditionellen heute sowie vice versa, vor allem auch von dem Blick eines Kurators, der eine alte Frage auf individuelle und unprätentiöse Weise angegangen ist. Nicht zuletzt zeigt sich, dass es von Vorteil zu sein scheint, Kunsthistoriker, Sammler und Musiker zu sein, wie Fritz Simak, der zu allem Kalkül der Inszenierung etwas wie eine Melodie in die Bildfolgen bringt. Ich bin jedenfalls recht beschwingt aus der Ausstellung gekommen und habe mir vorgenommen, all jenen, die neuen Tönen gegenüber aufgeschlossen sind, zu raten, nach Hainburg zu fahren.
           Der Katalog vermag – wenn auch sämtliche Exponate in kleinen Wiedergaben angeführt sind – eine Besichtigung nicht annähernd zu ersetzen. Das hat gar nicht so sehr mit den Differenzen zwischen Original und Reproduktion zu tun, sondern mit den Sequenzen, dem Nacheinander von analogen und differenten Sichtweisen, dem Wechsel von Ideen, was auf den Doppelseiten einer Publikation nur unzureichend darzustellen ist. Auch die interpretatorischen Vorlagen des Kurators vermögen den Augenschein nicht zu ersetzen, und entsprechend lässt dieser seine Ausführungen enden: „Das Wichtigste an dieser Ausstellung muss aber erst getan werden: Die persönliche Erarbeitung durch den Besucher – glauben sie nur ihrem eigenen Urteil und mir kein Wort.“

Dezember 2007

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© Timm Starl 2007

PDF - 246kb

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