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Fotokritik

 

Timm Starl
„Heinrich Schwarz, wer ist das?“

Heinrich Schwarz
Techniken des Sehens – vor und nach der Fotografie
Ausgewählte Schriften 1929 – 1966

Hrsg. und kommentiert von Anselm Wagner
Mit einer Einführung von Monika Faber
Salzburg: Fotohof, 2006
(Fotohof edition, Bd. 70)
24,4 : 16,7 cm, 279 S., 236 Abb.
Broschiert
€ 25,-

Wenn wir eine Geschichte der Fotografie schreiben wollen,
sollen wir uns dann auf die Geschichte der Malerei beziehen?
Etwa so, wie man Tizian behandelt?

Nein.“
(Ernst H. Gombrich, 1986)
[1]

„Kunsthistoriker sind Leute,
die fern von jeder Politik in Museen hausen [...]“
(Bert Brecht, 1930)
[2]

Die Frage, wer Heinrich Schwarz sei, stellt der Herausgeber an den Beginn des Buches, das mit einer Auswahl von dessen Schriften sich auferlegt, dem Protagonisten „jenen Platz in der österreichischen (und europäischen) Wissenschaftsgeschichte zurückzugeben, der ihm zusteht, darüber hinaus aber auch jenes Bild, das die amerikanische Rezeption in den 1980er Jahren von ihm gezeichnet hat, etwas zurecht zu rücken.“ (7). Warum er dieses Platzes verlustig gegangen ist, wird mit der jüdischen Herkunft erklärt, die den 1894 in Prag geborenen und in Wien wirkenden Kunsthistoriker 1938 in die USA emigrieren lässt, wo er bis zu seinem Tod 1974 lebt und wirkt. Nach Kriegsdienst und Promotion über Die Anfänge der Lithographie in Österreich arbeitete Schwarz bald in der Österreichischen Galerie und „veranstaltete dort 1928/29 die erste fotohistorische Ausstellung nach dem 1. Weltkrieg. Dies und seine 1931 publizierte Monographie über David Octavius Hill machten ihn rasch zum führenden Fotohistoriker des Landes“. Des weiteren umfasste „seine Forschungs- und Ausstellungstätigkeit [...] die (vornehmlich österreichische) Malerei und Graphik von der Renaissance bis zum frühen 20. Jahrhundert. Seine diesbezüglich wichtigste (und erfolgreichste) Publikation beschäftigte sich mit der romantischen Landschaftsmalerei: Salzburg und das Salzkammergut [...] erschien 1926 und erlebte bis 1977 vier [...] Neuauflagen.“ (8). Nach diversen Tätigkeiten erhält Schwarz 1954 eine Professur für Kunstgeschichte an der Wesleyan University in Middletown, arbeitet als Kurator, hält zahlreiche Vorträge und veröffentlicht auch zu fotografischen Themen, vorwiegend im Umkreis der Erfindung und Entwicklung des Mediums im 19. Jahrhundert.
             „Heinrich Schwarz, wer ist das?“ Schwarz war sicherlich neben Josef Maria Eder der „führende Fotohistoriker“ in Österreich, insbesondere aber hat er mit seinem „Buch über das fotografische Werk des schottischen Malers David Octavius Hill (1802–70) [...] die erste wissenschaftliche Monographie überhaupt, die ein Kunsthistoriker über einen Photographen verfasst hat“ (31), vorgelegt. Bemerkenswert an dieser Veröffentlichung sind nicht zuletzt die rezeptionsgeschichtlichen Analogien, die den Autor mit seinem Gegenstand verbinden. Hills wesentliche Leistung, Porträtarbeiten der 1840er Jahre, blieb nahezu ein halbes Jahrhundert vergessen. Die Kompositionen – inszeniert in der Manier der englischen Porträtmalerei des 18. Jahrhunderts und ausgestattet mit der Unschärfe, die Kalotypien (Abzügen auf Papier) eigen ist – finden erst wieder Aufmerksamkeit, als die piktorialistisch orientierten Amateurfotografen der 1890er Jahre gleichfalls ihre Vorbilder in den Gemälden früherer Epochen suchen. Zugleich opponieren sie mit Monokellinsen und Überarbeitungen gegen die Schärfe und Detailgenauigkeit, durch welche sich die Atelier- und Landschaftsaufnahmen der Berufsfotografen auszeichnen. Die Nachfolger und späten Adepten dieser Kunstfotografen üben ebenso heftig Kritik an den sachlich-strengen und unbearbeiteten Hervorbringungen der Vertreter des Neuen Sehens der ausgehenden 1920er Jahre und verteidigen ihre Bromöldrucke und -umdrucke, mit denen die Bildgegenstände verunklärt und die Aufnahmen mit Stimmungsattributen versehen werden. Insofern greift Schwarz in einer gleich gelagerten Phase der Rechtfertigung, kurz vor dem Ende derselben fotokünstlerischen Bewegung, auf jene Gestalt zurück, die bereits an ihrem Anfang die Jünger begeisterte.
            Auch wenn Schwarz Hills Studien als „die kostbarsten Schöpfungen, die die Photographie bis auf den heutigen Tag hervorgebracht hat“ [3] glorifiziert, unterscheidet sich seine Darstellung von Person und Werk einigermaßen von den blanken Apotheosen der früheren Bewunderer. Gleichwohl erhält das Buch nach seinem Erscheinen 1931 vor allem Beifall aus der Gilde der Kunstfotografen alter Schule, allen voran von ’Altmeister’ Heinrich Kühn. Dieser hält es in seiner Besprechung nach wie vor geboten, in den Aufnahmen „verletzende Härten [...] zu vermeiden“, und ist beglückt über Hills Linsenwahl: „Es ist nicht auszudenken, welches Unglück es gewesen wäre, wenn er sich durch die fünfzehn mal größere Lichtstärke des eben [1841] konstruierten Petzval-Objektivs hätte bestechen lassen“ [4] und scharfe Aufnahmen gemacht hätte. Solche Besprechungen hat der Herausgeber leider nicht einmal bibliografisch verzeichnet, obwohl sich Kühn ausführlich der Publikation widmet – viereinhalb Seiten Text sowie vier ganzseitige Abbildungen hat die Fachzeitschrift dafür eingeräumt. Wagner waren Hinweise auf Rezensionen oder Erwähnungen in kunsthistorischen Journalen wichtiger. Damit wird jedoch nur ein einziger Blickwinkel der zeitgenössischen Rezeption als relevant betrachtet und der breiten Zustimmung aus den Amateurkreisen keine Bedeutung zugemessen.             „Heinrich Schwarz, wer ist das?“ Schwarz ist ein Kunsthistoriker, der einem Fotografen der Frühzeit die Weihen seiner Disziplin angedeihen lässt, indem er ihn in die Reihe bekannter Künstlerpersönlichkeiten stellt. Dabei sucht er – traditionellen Bahnen folgend – die lineare Entwicklung der Formen, die – aus der Malerei kommend – ihren Niederschlag in den Fotoarbeiten von Hill finden. Der Blick geht selten über die Kunstproduktion hinaus, und dann sind es nicht mehr als allgemein gehaltene Einschlüsse wie der Hinweis auf die positivistisch angelegte „Weltanschauung des Bürgertums“, die den Boden für die Erfindungen und Fortschritte der Fotografie im 19. Jahrhundert abgibt und in der „sich gleichermaßen intuitiv die künstlerischen und naturwissenschaftlichen Bestrebungen der Zeit“ vereinigen. [5] Des weiteren praktiziert Schwarz beispielsweise mit Begriffen wie „photoähnlich“ für ein Gemälde von Waldmüller aus dem Jahr 1834 [6] und für andere Vergleiche eine Rückprojektion, die historische Gegebenheiten geradezu mechanistisch hintereinander stellt, um dieserart Präformationen aufzeigen zu können. Solche Auffassungen haben bereits Hubert Damisch zu der Forderung veranlasst, man müsse „[...] den Gemeinplatz zurückweisen, demzufolge die Malerei den Weg für die Photographie gebahnt habe, dass sie sie antizipiert habe [...]“ [7]

 

Sir Henry Raeburn David Octavius Hill, Robert Adamson
Sir Henry Raeburn: John Clerk, Lord Eldin, um
1790, Gemälde (aus dem besprochenen  Band,
S. 200)
David Octavius Hill und Robert Adamson:
Sir David Brewster, 1843, Fotografie
(aus dem besprochenen Band, S. 200)

 

           Schwarz bewegt sich – nicht nur in der Monografie zu Hill – durchwegs in den Gefilden der Kunstgeschichtsschreibung, bedient sich deren Methoden und Kategorien, weshalb ihm die spezifischen Momente des Fotografischen entgehen. So bleibt er hinter einer Diskussion zurück, die in der zweiten Hälfte der 1920er Jahre eingesetzt hat und deren Teilnehmer – darunter Kunsthistoriker wie Adolf Behne und Franz Roh – Versuche unternommen haben, die Fotografie als Fotografie neu zu denken. [8] Statt auf diese Auseinandersetzungen einzugehen und die Position von Schwarz zu relativieren, bemüht Monika Faber in der Einführung die Ansichten eines Hans Sedlmayr für einen Vergleich, denen gegenüber sich Schwarz als progressiv abhebt. Nicht die Analytiker der Fotografie jener Jahre werden als Maß herangezogen, sondern einzelne Vertreter diametraler kunstgeschichtlicher Auffassungen. Damit treten der Herausgeber und seine Gastautorin gewissermaßen in die Fußstapfen ihres Protagonisten: Mit der perspektivischen Engsicht fehlt ihnen zu Schwarz dieselbe Distanz, die dieser gegenüber Hill nicht zu wahren vermochte und die notwendig ist, um eine einseitige Zeichnung zu vermeiden.
             „Heinrich Schwarz, wer ist das?“ Schwarz war ein Fotohistoriker, der die Geschichte der Fotografie nicht mit 1839 hat beginnen lassen, sondern die Bedeutung optischer Geräte wie Camera obscura und Camera lucida für die Sicht der Welt und die Produktion von Bildern erkannt hat. Er hat den Einfluss der Fotografie auf die Malerei der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts gesehen, wenn auch lediglich als Lieferantin von Vorlagen. Vor allem hat er versucht, die „Fotografie in die allgemeine Kunstgeschichte zu betten“, wie Wagner bemerkt (122). Das macht ihn – jedenfalls in seinem eigentlichen Fach – zum Pionier. Doch mit dem Aufzeigen von Entsprechungen in Bildwerken der Malerei und Fotografie werden die wesentlichen Differenzen falsch gesehen und bleiben die konstitutiven Elemente der Fotografie auf der Strecke. Wenn Schwarz nämlich „das Vorauserkennen des endgültigen Ergebnisses und das Ausschalten des unvorhergesehenen Zufalls“ als essentielle Fähigkeiten von einem Fotokünstler verlangt [9], wird ein Anspruch formuliert, der niemals erfüllbar ist. Denn gerade das Aleatorische gehört zu den bestimmenden Eigenarten des Fotografischen und unterscheidet die Fotografie von den anderen Künsten, insbesondere jenen, die ohne technische Hilfsmittel operieren. Um nur eine Facette anzuführen: Kein Lichtbildner ist imstande, die Summe aller Details, die der gewählte Ausschnitt beinhaltet, im Moment des Auslösens wahrzunehmen, so dass immer Erscheinungen ohne Absicht, also zufällig ins Bild geraten und damit auch das Ergebnis nicht vollständig abzusehen ist.
            „Heinrich Schwarz, wer ist das?“ – erscheint mir nicht als die wesentliche Frage, vielmehr interessiert doch, warum sie heute gestellt wird. Denn der fotografische Diskurs ist so weit fortgeschritten, dass die Standpunkte von Schwarz mehr als überholt erscheinen müssen. Am Beginn des Fotobooms in den 1970er Jahren hätte die Edition des Kunsthistorikers Wagner noch moderat in eine Landschaft gepasst, in der Kollegen wie Ulrich Keller, Wolfgang Kemp und Herbert Molderings ihre Beiträge zur Geschichte und Ästhetik der Fotografie[10]vornehmlich mit Bezug auf die Theoretiker der 1920er und 30er Jahre, auf Walter Benjamin und Siegried Kracauer, untermauert haben. Heute mutet die Textsammlung zu Schwarz inhaltlich reichlich anachronistisch an. Zumal in den letzten gut drei Jahrzehnten nicht nur das Kunstwerk als historisches Dokument entdeckt worden ist, Fragestellungen zum Wesen der Fotografie Eingang in die Überlegungen von Ethnologen, Alltagshistorikern, Medienwissenschaftlern und anderen gefunden haben, eine Anthropologie, eine Archäologie, eine Kulturgeschichte des Bildes entstanden ist – mit einem Wort: Der tradierte Kunstbegriff erfuhr seit seiner Infragestellung durch die Pop Art zunehmend Entgrenzungen bis hin zu beliebigen Interpretationen der Postmodernisten. Dieser Wandel war (auch) Ausdruck einer Krise der Kunstgeschichte, die sich seit geraumer Zeit neu orientiert und ihre Integration in eine allgemeine Bildwissenschaft betreibt. [11] Demgegenüber plädiert die Publikation zu Schwarz mit ihrer eindimensionalen Argumentation für die alther gebrachte Vereinnahmung der Fotografie durch die Kunstgeschichte.
            Nichtsdestoweniger stellt der sorgfältig edierte und mit umfangreichen Kommentaren versehene Band, der zwölf Texte aus den Jahren 1929 bis 1966 enthält, eine anregende Ergänzung der fotohistorischen und fototheoretischen Literatur dar – so man sich damit begnügt, dass die Leistungen und Äußerungen von Schwarz ausschließlich unter kunstwissenschaftlichen Auspizien untersucht und gewürdigt werden. Berücksichtigt man die Defizite im Bereich des Fotografischen, so bestätigt sich auf besondere Weise – mit einer entsprechenden Abwandlung – ein Diktum von Janos Frecot: „Wer nur etwas von Kunst versteht, versteht auch von Fotografie nichts“. [12]

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1 „Eine neue Art von Aufmerksamkeit. Interview mit Ernst H. Gombrich“, in: European Photography, Nr. 26, 1986, S. 43-44, hier S. 44.
2 Bert Brecht, „Über die Notwendigkeit der Kunst in unserer Zeit“ (1930), in: ders., Gesammelte Werke in acht Bänden. VIII, Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1967, S. 76-78, hier S. 76.
3 Heinrich Schwarz, David Octavius Hill, der Meister der Photographie, Leipzig: Insel, 1931, S. 26. Dieser und die weiteren Texte von Schwarz, aus denen ich zitiere, sind in der Anthologie enthalten, jedoch nicht immer in der zuerst veröffentlichten Fassung, weshalb ich jeweils diese – soweit zugänglich – zugrunde lege.
4 Heinrich Kühn, „David Octavius Hill – der Meister der Photographie“, in: Agfa Photoblätter, hrsg. von der I.G. Farbenindustrie Aktiengesellschaft, Agfa Berlin SO 36, 8. Jg., 1932, S. 199-207, hier S. 204, 206.
5 Schwarz, (wie Anm. 3), S. 8.
6 Heinrich Schwarz, „Before 1839: Symptoms and Trends“, Aus dem Amerikanischen von Wilfried Prantner, unpubliziertes Manuskript (1963/64), in dem besprochenen Band, S. 187-200, hier S. 196.
7 Hubert Damisch, „Vorwort: ausgehend von der Photographie“, in: Rosalind Krauss, Das Photographische. Eine Theorie der Abstände, Übersetzt von Henning Schmidgen, München: Wilhelm Fink, 1998 (Bild und Text, hrsg. von Gottfried Böhm, Karlheinz Stierle), S. 7-13, hier S. 12.
8 Siehe beispielsweise den Text von Ernst Kallai aus dem Jahr 1927 und die diversen Stellungnahmen, wiedergegeben in: Wolfgang Kemp, Theorie der Fotografie II. 1912 – 1945, München: Schirmer/Mosel 1979, S. 113- 135.
9 Heinrich Schwarz, „Kunst und Fotografie. Ein Vortrag von 1932“, in: Fotogeschichte, Heft 11, 4. Jg., 1984, S. 5-18, hier S. 10.
10 So der Titel des Buches, das im deutschsprachigen Raum Positionen präsentiert hat, die auf die Beschäftigung mit Fotografiegeschichte in den folgenden Jahren maßgeblich Einfluss hatten: Ulrich Keller, Herbert Molderings, Winfried Ranke, Beiträge zur Geschichte und Ästhetik der Fotografie, Lahn-Gießen: Anabas, 1977.
11 Vgl. dazu u.a. die in einem Vortrag von 1980 und einem Nachwort von 1983 formulierten Einschätzungen von Willibald Sauerländer, „Der Kunsthistioriker angesichts des entlaufenen Kunstbegriffs. Zerfällt das Paradigma einer Disziplin?“ (1985), in: ders., Geschichte der Kunst – Gegenwart der Kritik, hrsg. von Werner Busch, Wolfgang Kemp, Monika Steinhauser und Martin Warnke, Köln: DuMont, 1999, S. 293-323, insbesondere S. 318- 320.
12 Janos Frecot, „Wer nur etwas von Fotografie versteht, versteht auch von Fotografie nichts“, in: Fotogeschichte, Heft 98: Fotografie/Geschichte. 25 Jahre Fotogeschichte, hrsg. von Anton Holzer und Timm Starl, 25. Jg., 2005, S. 105-107.

November 2006

Veröffentlicht auch in: Fotogeschichte, Heft 103, 27. Jg., 2007.

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© Timm Starl 2006

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