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Fotokritik

 

Timm Starl
Tausendsassa Steichen

Todd Brandow und William A. Ewing
Edward Steichen
Ein Leben für die Fotografie
Mit Beiträgen von A.D. Coleman, Catherine Coleman, William A. Ewing, Ronald J. Gedrim, Nathalie Herschdorfer, Patricia Johnston, Olivier Lugon, Pamela G. Roberts, Joanna T. Steichen
Katalogbuch zur Ausstellung „Edward Steichen: Lives in Photography“, Foundation for the Exhibition, Minneapolis; Musée de l'Elysée, Lausanne
Ostfildern: Hatje Cantz, 2007
31,3 : 26,4 cm, 335 S., 248 Abb. in Farbe
Leinen, Schutzumschlag
€ 75,-, CHF 130,-

Es hätte ein interessanter Streifzug durch die Geschichte der Fotografie im 20. Jahrhundert werden können, orientiert an der Laufbahn und den Aktivitäten einer Person, die von 1879 bis 1973 gelebt hat und 1895 als Amateur zu fotografieren beginnt, der piktorialistischen Richtung anhängt, sich im Krieg der Luftaufklärung mit der Kamera widmet, anschließend ins kommerzielle Fach der Werbe- und Modefotografie wechselt, berühmte Leute porträtiert, Gebäude aufnimmt und Stilleben inszeniert, im nächsten Weltkrieg eine Propagandaausstellung organisiert, 1946 zum Direktor des Department of Photography des Museum of Modern Art in New York ernannt wird, sich immer wieder zu fotografischen Themen in Aufsätzen äußert, schließlich die hinsichtlich Besucherzahl erfolgreichste Fotoschau aller Zeiten zusammenstellt. Statt die wechselnden Interessen und Hervorbringungen gegenüber den allgemeinen Entwicklungen oder zumindest in Relation zu den fotografierenden Weggefährten zu sehen, wird eine solitäre Figur vorgeführt und auf ein Podest der Superlative gestellt. Steichen zähle „zu den bahnbrechenden Großmeistern der Fotografie des 20. Jahrhunderts“ (275), er habe sich „zum weltweit höchstbezahlten und (zweifellos) berühmtesten Fotografen“ aufgeschwungen (19), er sei „ein genialer Mensch“ (248) „mit einer großen Seele“ (249) gewesen und überhaupt „der größte Fotograf des Jahrhunderts“ (267) und „der Welt“ (247).

 

Edward Steichen Edward Steichen
„Self-Portait with Brush and Palette“, 1902 (S. 44) „Rodin avant le monument à Victor Hugo“, 1902 (S. 43)
Edward Steichen Edward Steichen
„Self-Portrait“, 1915 (S. 292) „Nude“, um 1915 (S. 151)

 

          Statt seine Leistungen auf mögliche Vorbilder zurückzuführen, auf den aktuellen Stand fotografischer Entwicklung zu beziehen oder auf ihre Nachwirkungen hin zu untersuchen, werden sie wie Ergebnisse von Wettbewerben dargeboten, aus denen Steichen als Sieger hervorgegangen ist oder zumindest zur Spitzengruppe gehört hat. Er habe „die Moderne in die Fotografie“ eingeführt (235), sei „Pionier der Museumsausstellung als Installation“, „Miterfinder des kritischen Fotojournals“ und „Mitdesigner des White Cube“ (284) gewesen. Allerdings können solche Spitzenplätze nur behauptet werden, indem das eine und andere verschwiegen wird. Die Behauptung zur Ausstellungsarchitektur hebt ab auf die Propagandaschau „Road to Victory“ von 1942 im New Yorker Museum of Modern Art, deren Präsentationsform jedoch nur als Pionierleistung klassifiziert werden kann, wenn die ein Jahrzehnt früher in Deutschland gemachten Vorführungen keine Erwähnung finden. Der Einsatz riesiger Formate neben kleineren Wiedergaben und eine dynamische Inszenierung, die mit Durchblicken und wechselnden Höhen der Exponate und Texte operiert, wurden bereits von Herbert Bayer und anderen für die Werbeveranstaltungen der Nationalsozialisten ausgerichtet. Dass Bayer an der erwähnten Ausstellung von 1942 mitgearbeitet hat, wird zwar angegeben, nicht aber auf seine diesbezüglichen früheren Leistungen hingewiesen.
         Das Katalogbuch hätte auch ein aufschlussreicher Beitrag zur Mediengeschichte werden können, wären die vielfältigen Tätigkeiten und Produkte in Beziehung zueinander gesetzt worden. Denn Steichen hat nicht nur fotografiert, Fotomontagen und Fotoskulpturen kreiert sowie mit Mehrfachbelichtungen gearbeitet, sondern nach einer Lithografenlehre zu malen begonnen, 1902 eigene Gemälde und Fotografien ausgestellt, Cover und Layout der Zeitschrift Camera Work entworfen, gefilmt, Stoffmuster, Glasobjekte und Klaviere entworfen und Ausstellungen gestaltet. Doch statt in dem opulenten Werk den Verschränkungen der Künste und Medien nachzugehen, wird das eine unabhängig vom anderen behandelt und die Anekdote einer eingehenden Analyse vorgezogen. So erfährt der Leser, dass Steichen 1900 ein Dinner zu Ehren eines Kollegen gegeben habe und dies im New York Herald verzeichnet worden sei (295). Wogegen im Abschnitt „Steichen als Symbolist“ (26 bis 101) lediglich den fotografischen Schöpfungen Aufmerksamkeit zuteil wird, nicht aber den gemalten, die in derselben Periode entstanden sind. Zwar werden alle Ismen der Zeit um 1900 angeführt – vom Tonalismus bis zum Japonismus –, ohne dass der Versuch unternommen wird, einen Konnex zwischen der Malerei und der Fotografie des Protagonisten herzustellen. Auch in dem Kapitel „Edward Steichen und Camera Work “ innerhalb desselben Abschnitts liegt das Augenmerk auf den grafischen Ideen zur Gestaltung der Hefte und der Zusammenarbeit mit Alfred Stieglitz, wobei die Tatsache, dass die Zeitschrift neben Fotografien auch Gemälde und Zeichnungen veröffentlicht hat, keine Rolle spielt.

 

Edward Steichen Edward Steichen
„Back-Yards“, 1922 (S. 126) „Self-Portrait“, New York, um 1920 (S. 308)
Edward Steichen Edward Steichen
„Greta Garbo“, 1928 (S. 8) „Self-Portrait with Photographic Paraphernalia“, New York, 1929 (S. 234)

 

         Wenn auch die Publikation mit „Ein Leben für die Fotografie“ untertitelt ist, so wird das Dasein eines Menschen nie allein von einer einzigen Obsession bestimmt, zumal Steichens Vorlieben ja gewechselt haben. Fotografieren und das Ausstellen von Fotografien kann man nicht in denselben Topf werfen. So bleiben einige Facetten des Künstlers im Dunkel, wie auch die Persönlichkeit keine deutlichen Züge erhält. Schon eine Aneinanderreihung und Kommentierung der Selbstporträts und der Porträts des Protagonisten in den diversen Phasen seines Wirkens hätte dem Menschen mehr Konturen verliehen als die Anführung von gelegentlichen Befindlichkeiten, wie dass er sich 1900 erbricht, nachdem er Bilder von van Gogh gesehen hat (83), in Tränen ausbricht angesichts der Skulpturen von Rodin (87), infolge einer Porträtsitzung „vor dem Kollaps“ steht (89), nach dem Ersten Weltkrieg in einen depressiven Zustand verfällt (136) oder „[v]on seinen metaphysischen Studien, aber auch von seinen Fotoexperimenten erschöpft, beschloss [...], für rund zehn Tage nach Venedig zu reisen [...]“ (138). Auch kritische Stimmen von Mitarbeitern und Zeitgenossen, die es ausreichend gegeben hat, aber nur vereinzelt in Fußnoten versteckt werden, hätten mehr zum Verständnis Steichens beigetragen als die Elogen der Witwe auf ihren früheren Gefährten (247 bis 249).
         Nicht zuletzt wird jene Veranstaltung, die ab 1955 um die Welt gereist und vielen Menschen auch außerhalb der Fotoszene bekannt geworden ist, bereits im Vorwort bejubelt: „Kenner der Welt der Fotografie bewerten The Family of Man als Steichens größten Erfolg – so wie Steichen selbst.“ (9). Im letzten Beitrag wird zwar eingeräumt – nachdem die Aufnahme einer restaurierten Tourneeversion im Museum des Château de Clervaux in Luxemburg in das UNESCO-Weltdokumentenregister hervorgehoben wird –, dass es auch Kritiker gegeben habe und nach wie vor gebe. Doch werden diese pauschal in einem einzigen Absatz abgehandelt und deren Urteile einseitig dargestellt. „Roland Barthes zerpflückt die Ausstellung bei ihrer Ankunft in Paris nach semiotischen Gesichtspunkten.“ (284). Mit diesem Verdikt lenkt der Autor A.D. Coleman von den wesentlichen inhaltlichen Aspekten der Kritik ab und leistet gewissermaßen dasselbe wie Steichen mit der Ausstellung, zu der Barthes u.a. notiert hat: „Wir werden an der Oberfläche einer Identität festgehalten [...]“ ( Mythen des Alltags , Frankfurt am Main 1964, S. 17). Zumeist begnügt man sich aber mit dem Verschweigen negativer Einschätzungen, zu denen vor allem jene fundierte Stellungnahme von Abigail Solomon-Godeau gehört, die sie auf einer Tagung in Trier geäußert hat und die vier Jahre später publiziert worden ist (in: Jean Back, Viktoria Schmidt-Linsenhoff [Hrsg.], The Family of Man 1955 – 2001 , Marburg 2004, S. 28-55). Statt einer Auseinandersetzung werden Kritiker vorab als „Zyniker“ (9) eingestuft, und auf eine aktuelle Gegenstimme reagierte der Held, wie einer seiner Bewunderer notiert: „Steichen schüttelte den Kopf [...]“ (90).

 

Victor Jensen Edward Steichen
Victor Jensen: „Commander Steichen on the USS ‘Lexington' with a Flight Deck Scene Below“, 1943 (S. 302) „Delphiniums“, um 1940 (S. 250)
Wenn nicht anders vermerkt, stammen die Aufnahmen von Edward Steichen und sind als Abbildungen in dem besprochenen Band enthalten.

 

         Alles in allem: Es hätte zumindest ein attraktiver Tafelband werden können, wenn auf die durchwegs affirmativen und nur selten erhellenden Texte verzichtet worden wäre. Zumal in Steichens fotografischem Œuvre bis in die 1920er Jahre durchaus hervorragende Bilder enthalten sind. Diesen hätte ein Text zur Seite gestellt werden können, der nicht die üblichen Stereotypen zu den Vorbildern in der Malerei oder deren Ablehnung, zu traditionellen und modernen Perspektiven, zur Differenz von Amateur- und professioneller Lichtbildnerei, zur Wahl von Kamera und Zubehör, zu den Modalitäten der Aufnahme und Ausarbeitung darbietet. Die Frage von heute lautet auch nicht mehr, inwieweit der Piktorialismus mit unscharfen und überarbeiteten Bildern seine Gegenstände in paradiesische Sphären entrückt, sondern ob nicht die Unschärfe eine Art Filter darstelle, durch das sich für die Zeitgenossen ein Zugang zur Wirklichkeit und zum Verständnis der Gegenwart hat finden lassen, die ja vor allem auch eine Phase der sozialen Umbrüche bedeutete. Und wie sich in den trüben und meist dunklen Bildern die Irritationen gegenüber der sich wandelnden gesellschaftlichen Ordnung um die Jahrhundertwende auftun, interessiert, was die gestochene Schärfe der unbearbeiteten Negative und Abzüge der straight photography an Klarheit liefert, wenn es die Nachkriegszeit der 1920er Jahre mit ihren politischen und ökonomischen Konfrontationen zu erfassen gilt. Für solche Ansätze hätte Steichens Leben und Werk genügend Material geliefert, dafür und für anderes mehr ...

Oktober 2007

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© Timm Starl 2007

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