Fotokritik |
Timm Starl
Ansichten zur Fotografie,
entwickelt und veröffentlicht von Karl Pawek
Margarethe Szeless
Die Kulturzeitschrift magnum
Photographische Befunde der Moderne
Marburg: Jonas, 2007
24,5 : 17 cm, 188 S., 37 Abb.
Gebunden
€ 25,-
„Wie weiter?“ lautet die Frage, die dem dritten Heft der Zeitschrift magnum als Thema vorangestellt ist. Welche Perspektiven tun sich auf im Jahr 1954? „Wie weiter?“ heißt es auch neben einer Abbildung, die Wilhelm Furtwängler beim Studium einer Partitur zeigt und nach einer Aufnahme von Yoichi Okamoto entstanden ist. Für den berühmten Dirigenten hatte die Frage keine Bedeutung, er konnte längst fortführen, was er während der NS-Zeit nicht hatte unterbrechen müssen. Gehörte er doch zu den prominenten Künstlern, die sich von den Machthabern willig für deren Zwecke instrumentalisieren ließen. Eine solche Anpassungsfähigkeit verbindet ihn mit dem Herausgeber von magnum, Karl Pawek, der als stellvertretender Hauptschriftleiter der von ihm zuvor geleiteten Zeitschrift die pause ab 1938 nationalsozialistisches Gedankengut propagierte. Zwar wurde er nach 1945 wegen Verrats als Kriegsverbrecher verurteilt, doch fand er bald nach einem Gefängnisaufenthalt Geldgeber, die ihn bei der Gründung der Zeitschrift unterstützten. Auch wenn sein Name im Impressum des genannten Heftes noch nicht aufscheint, fungierte Pawek gleichwohl als Herausgeber und lenkte die Geschicke des Periodikums.
Insofern mag man die Veröffentlichung des Porträts als symptomatisch ansehen, denn beide – das Modell wie der es publiziert hatte – hatten auf je ihrem Terrain die Zeitläufte überstanden. Der eine dirigierte dieselben klassischen Stücke, mit denen er seit der Weimarer Republik ohne Unterbrechung reüssiert hatte. Der andere brachte seine kulturtheoretischen Vorstellungen durch den klerikal-autoritären Ständestaat über das „Dritte Reich“ bis in die Wirtschaftswunderjahre, indem er ihnen einmal christliche Züge verlieh, dann ihre rassistische Orientierung betonte, um schließlich humanistische Grundsätze hervorzukehren. Um diesen Karl Pawek geht es auch und vor allem in der Untersuchung von Margarethe Szeless, selbst wenn eine solche Eingrenzung dem Titel der vorliegenden Publikation nicht zu entnehmen ist.
Allerdings werden nicht nur die politischen Aspekte seiner Wandlungen ausgeklammert, sondern auch die Tätigkeit für die pause von 1935 bis 1944 erfährt nur eine kursorische Behandlung. Andererseits erfolgt auch die Darstellung von magnum selektiv, indem die inhaltliche Ausrichtung allein im Hinblick auf die ideologische Disposition des Herausgebers gesehen wird. Nun erhält eine Zeitschrift ihr Gesicht nicht allein aufgrund der Ambitionen einer einzigen Person (einmal von der Fackel und Karl Kraus abgesehen). Insbesondere wenn renommierte Personen mit einem dermaßen breiten Spektrum an Meinungen zu Wort kommen: Schriftsteller wie Alfred Andersch, Heinrich Böll und Albert Paris Gütersloh, Unternehmer wie Gottlieb Duttweiler, Kunsthistoriker und -kritiker wie Franz Roh und Werner Hofmann, Soziologen wie Helmut Schelsky und Jürgen Habermas, Psychoanalytiker wie Alexander Mitscherlich – um nur einige wenige anzuführen. Dazu kommt, dass die Hefte von Nr. 45 bis 59, nachdem andere Chefredakteure auf den Plan getreten waren, von Szeless keine Beachtung erfahren.
Der fotografischen Illustration beziehungsweise der Argumentation mit Bildern wurde in magnum ein hoher Stellenwert eingeräumt. Doch selbst wenn Bildauswahl und -anordnung von Pawek vorgenommen worden sind und zahlreiche Legenden von ihm stammen mögen, wird der Blick mancher Leser auch an einzelnen Fotografien hängen geblieben sein. Schließlich lieferten die Vorlagen international so bekannte Fotografen und Fotografinnen wie Lucien Clergue, Robert Doisneau, Fritz Eschen, Roger Mayne, Liselotte Strelow, Jakob Tuggener, Rolf Winquist und weitere arrivierte Zeitgenossen. Es sind auch die Bildautoren und ihre Hervorbringungen, die einer Publikation zusätzliche Konturen verleihen.
Will man den Radius der Ausführungen von Szeless abstecken, so handelt es sich um nicht mehr und nicht weniger als den Pawek zugeschriebenen Anteil an der Kulturzeitschrift magnum. Diesbezüglich hat sich die Autorin mit aller Akribie jener Fragen angenommen, die eine solche Zuschreibung unterstützen. Begonnen wird mit einer Analyse von Paweks Realismusbegriff, den er in der Life-Fotografie der 1950er und 60er Jahre vergegenständlicht sieht. Deren Hervorbringungen würden seinem Bekunden nach ihre eigentliche Bestimmung erst in der massenmedialen Verbreitung über die Druckmedien erfahren. Nachdem die Zeitschrift hinsichtlich Gründung, Herstellung, Gestaltung und Konsumentenkreis beschrieben worden ist, folgen Abschnitte zur „Ästhetik der Moderne“ sowie zur Fotografie und deren Präsenz in magnum.
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Teil des Umschlages der Ausgabe 36 von magnum , des ersten Heftes,
für das Karl Pawek nicht mehr allein als Chefredakteur zeichnet, sondern
nur mehr für „Kultur“ zuständig ist. |
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Zuletzt erfährt „Karl Paweks Kulturtheorie“ ihre Rückführung auf die Kategorienlehre des österreichischen Nationalökonomen Othmar Spann aus den 1920er Jahren. Dieser setzte einen „Universalismus“ gegen den „Individualismus“, verstand jegliche soziale Gemeinschaft als einen „lebendigen Organismus“, zog „inneres Wissen und „innere Erfahrung“ der Aufklärung und der „Herrschaft des Rationalen“ vor. Mit diesen reaktionären Konstruktionen samt deren teilweise christlicher Ausrichtung unterfütterte Pawek gewissermaßen seinen Standpunkt gegenüber der jeweils aktuellen „Moderne“ in Architektur, Design und bildender Kunst und suchte eine Verbildlichung vor allem in Gegenüberstellungen von fotografischen Abbildungen auf Doppelseiten in magnum. Sie bilden auch den Hintergrund für seine fototheoretischen Exkurse in der Zeitschrift und in seinen ersten beiden Buchveröffentlichungen: Totale Photographie. Die Optik des neuen Realismus von 1960 und Das optische Zeitalter. Grundzüge einer neuen Epoche von 1963, die beide bei Walter in Olten und Freiburg erschienen sind. Dass Pawek bereits vor dem Weltkrieg in der pause mit „Bilderdialogen“ operiert hatte, wird allerdings übergangen, so dass der Eindruck entsteht, diese Art der Rhetorik habe er in Nachfolge der filmischen Montagetechnik Eisensteins und mancher Doppelseiten in den illustrierten Magazinen der 1920er Jahre ein halbes Jahrhundert später wieder aufgenommen.
Viel Raum haben die fototheoretischen Überlegungen Paweks erhalten, indem sie zu den einschlägigen Theorien der Nachkriegsjahre ins Verhältnis gesetzt werden. Insbesondere steht Otto Steinerts „subjektive fotografie“ im Blickpunkt, wobei Szeless sich weitgehend auf die entsprechenden Abhandlungen von Thilo Koenig aus dem Jahr 1988 stützen kann. Bemerkenswert ist, dass Pawek wie Steinert vielfach dieselben Fotografinnen und Fotografen für ihre Ansichten in Anspruch genommen haben – für den einen sind die Aufnahmen von Henri Cartier-Bresson exzellente Schnappschüsse vom „modernen Leben“, für den anderen große Kunst. Auch im historischen Bezug gehen die Kontrahenten – als welche sie bis heute angesehen werden – einen parallelen Weg, indem sie die Inanspruchnahme oder Ablehnung der avantgardistischen Tendenzen der 1920er Jahre durch die Nationalsozialisten übergehen und die fotografische Produktion nach 1945 als Wiederanfang verstehen.
Dass dieser Brückenschlag für Szeless keine Erwähnung wert ist, verwundert weniger, entspricht sie doch der gängigen Vorgehensweise der Kunst- und Fotogeschichtsschreibung. Irritierend ist jedoch, dass der fototheoretische Diskurs der Jahre vor 1933 keine Beachtung erfährt. Dies erstaunt umso mehr, als mehrfach Analogien zwischen den Ansätzen von Siegfried Kracauer und Karl Pawek angesprochen werden. Doch sind wesentliche Gedanken, die Szeless erst in der Nachkriegsliteratur ortet, bereits in seinem Text „Die Photographie“ von 1927 enthalten oder zumindest angeklungen. Ein entsprechender Rückgriff wäre nahe liegend gewesen, zumal auch die kulturtheoretischen Aspekte – wie schon erwähnt – auf ihre Ursprünge in den 1920er Jahren bezogen werden.
Die erwähnten Auslassungen kann man hinnehmen, zumal sie zumeist fotohistorische Gesichtspunkte berühren und ohnehin keine lückenlose Biografie Paweks angestrebt worden ist. Doch ärgerlich ist, das magnum als eine Kulturzeitschrift ohne Vorbild präsentiert und Paweks Qualifikation einer „niveauvolle[n] Alternative zu den Illustrierten seiner Zeit“ unkritisch übernommen wird. Solch ein Lapsus kann nur jemandem unterlaufen, der die Schweizer Kulturzeitschrift Du nicht kennt. Gegründet 1947, also sieben Jahre vor magnum , der Zeitschrift für das moderne Leben , führte sie in der ersten Zeit das Prädikat einer Zeitschrift für die Ganzheit des Lebens. Auch war jedes Heft einem Thema gewidmet, und Betrachtungen zur Kunst gehörten zu den bevorzugten Artikeln. Wenn Pawek in einem Faltblatt von 1961 sein Konzept umreißt und festhält: „Das expressive Foto – eines der großen Medien unserer Zeit – tritt gleichberechtigt neben das geschriebene Wort [...]“, so klingt dieser Anspruch nicht wesentlich anders als eine Äußerung von Arnold Kübler, dem Gründer von Du , wenn er 1955 rückblickend formuliert: „Das Photo daneben und dazwischen als die heutige Massenbildersprache, aber das Photo nicht als Nachricht, sondern als Ausdruck; die Bilder nicht als Illustrationen behandelt [...]“ Erschienen ist diese Passage pikanterweise in magnum , nachdem in Heft 7 mehrere internationale Zeitschriften kurz vorgestellt werden. Dass Manuel Gasser, der ab 1958 Kübler als Editor nachfolgt und daneben über Fotografie publiziert, zuvor und immer wieder als Autor in magnum veröffentlicht hat, deutet auf eine Nähe ganz anderer Art.
Nicht zuletzt tritt eine erhebliche Zahl von Fotografen und Fotografinnen in beiden Kulturzeitschriften auf, beispielsweise Werner Bischof, Henri Cartier-Bresson, Herbert List, Inge Morath, Marc Riboud, Fulvio Roiter. Da wie dort wird die Fotografie zum Thema eines Heftes gemacht: Im selben Jahr 1958, als in der Nummer 17 von magnum „Der neue Blick in der Photographie“ festgestellt wird, widmet Du Cartier-Bresson eine Ausgabe. 1959 erscheint ein Heft von Du unter dem Titel August Sander photographiert: Deutsche Menschen, im Jahr darauf präsentiert magnum 18 Aufnahmen unter der Überschrift „Die Deutschen. Aus einem alten Photo-Album von August Sander“. Und auch in Du gehören „Bilderdialoge“ – allerdings erheblich seltener – zu den Mitteln des Vortrags: So wird beispielsweise in der Märzausgabe von 1955 die Kuppel der Sternwarte von Mount Palomar – mit einer Fischauge-Linse aufgenommen –, neben dem Foto eines runden Kaktus' platziert, um Analogien von Technik und Natur in der Formenwelt zum Ausdruck zu bringen .
Wenn Szeless Du lediglich als eines von „ magnum[s] Vorbilder[n] im Hinblick auf Typografie oder Layout“ hinstellt und die Zeitschrift ansonsten nicht erwähnt, handelt es sich um eine falsche Einschätzung oder ist auf die geringe Kenntnis des Blattes zurückzuführen. Denn man kann magnum getrost als eine Kulturzeitschrift apostrophieren, die sich in wesentlichen Merkmalen an ihr Schweizer Pendant angelehnt hat. Alles in allem ist das zudem spärlich illustrierte Buch – man könnte sagen – zu kurz geraten. Denn zum Verständnis von Paweks Schaffen reicht nicht, seine Tätigkeit für magnum herauszustellen, wie auch das Bild dieser Publikation sich nicht erschöpfend mit dem editorischen Wirken von Pawek zeichnen lässt. Szeless hat eine Menge Material aufgearbeitet, das in die Biografien von Pawek und magnum, die beide noch ausstehen, eingehen wird.
August 2007
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© Timm Starl 2007
PDF - 178kb
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