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Fotokritik

 

Timm Starl
Prominenz aus dem Gartenhaus

Münchner Kreise
Der Fotograf Theodor Hilsdorf 1868 – 1944
Hans-Michael Koetzle, Ulrich Pohlmann (Hrsg.)
Ausstellungskatalog Fotomuseum im Münchner Stadtmuseum
Bielefeld: Kerber, 2007
28,6 : 24,5 cm, 275 (+1) S., 344 Abb. in Farbe
Gebunden
€ 29,90 an der Museumskasse
€ 58,00 im Buchhandel

Am 7. Januar 1945 wird bei einem Bombenangriff auf München das Vorderhaus in der Amalienstraße 15, in dem sich Atelier und Archiv des Fotografen Theodor Hilsdorf (1868 – 1944) befinden, zerstört. Die Einrichtung und etwa 100.000 Negativplatten sind vernichtet. Teilweise unbeschädigt bleibt das Gartenhaus, in dessen Keller rund 2.700 Glasnegative, überwiegend im Format 24 x 18 cm, aufbewahrt gewesen sind. Es handelt sich dabei um Porträts prominenter Figuren aus Adel und Politik, Kunst und Kultur, Wissenschaft und Wirtschaft, die der Bildautor gesondert gelagert und ihnen damit einen besonderen Rang zugesprochen hat. Sie befinden sich heute im Besitz des Münchner Stadtmuseums, vereint mit über 300 Originalabzügen, die seit den ausgehenden 1920er Jahren angekauft worden sind. Dieser Bestand und ausführliche Recherchen bilden die Grundlage für eine Ausstellung und die begleitende Publikation, mit denen der Werdegang und die Bildproduktion des Ateliers verfolgt werden.
            Nicht zu allen Lebensabschnitten ließen sich gleichermaßen Aufzeichnungen finden, insbesondere fehlt Material zu den Jahren nach dem Ersten Weltkrieg, in denen eine neue Klientel erschlossen werden musste und die traditionellen Inszenierungen nicht mehr dem Geschmack der Zeit entsprochen haben. Damit richtet sich der Fokus von Veranstaltung und Katalog auf die ersten beiden Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts und den vergleichsweise kleinen Bereich der Bildnisse von Berühmtheiten, bleibt das Bild des ‘einfachen' Münchner Bürgers ausgeschlossen.
            So erklärt sich auch der Titel, der – dem Sujet entsprechend zurückhaltend formuliert – nur jene Kreise meint, die sich als solche bezeichnet haben. Den Hauptteil der Edition bilden denn auch die 190 Porträts überregionaler und lokaler Prominenz, die jeweils um die Vita und mit Hinweisen zur biografischen Literatur ergänzt sind. Nicht zuletzt erfährt der Leser, wer als Namenspatron für eine Straße oder einen Platz in München figuriert hat. Allerdings ist nicht vermerkt, ob die Aufnahme von Hilsdorf oder seinem Schwiegervater Friedrich Müller stammt, in dessen Atelier dieser gearbeitet hat, bevor er es 1903 übernimmt. Nachdem auch bei zahlreichen Aufnahmen nicht angegeben ist, wann sie entstanden sind, könnte in dem einen oder anderen Fall auch Müller fotografiert haben.

 

Atelier Friedrich Müller-Hilsdorf
Atelier Friedrich Müller-Hilsdorf: Werbeschrift, vor 1917 (aus dem besprochenen Band, S. 13)

 

            Diese Einschränkungen kann man als Manko betrachten, doch haben die Herausgeber sich bemüht, aus dem vorhandenen Bild- und Textmaterial Extrakte zu einer anspruchsvollen Präsentation zusammenzustellen. Sie haben den Protagonisten nicht in den Himmel der Berufsfotografie gehoben, sondern auch dem bis heute weitaus bekannteren Bruder Jacob Hilsdorf, der ein Atelier in Bingen am Rhein betrieben hat, einen biografischen Text gewidmet und einen kleinen Tafelteil mit acht Illustrationen beigegeben, die dessen kompositorische Fähigkeiten unter Beweis stellen. Mit dem Lebensweg von Theodor Hilsdorf hat sich Michael Koetzle ausführlich auseinandergesetzt – manchmal allzu sehr auf Details versessen bis hin zu den Aktivitäten des Großvaters – und einen nicht untypischen Vertreter seines Faches vorgestellt. Darin liegt der fotohistorische Wert des Katalogbuches, berücksichtigt man noch Ulrich Pohlmanns Wertung der ästhetischen Momente im Werk von Hilsdorf und deren Einordnung in die Situation und Veränderungen der Zunft, insbesondere um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert. Die dezente Gestaltung der Veröffentlichung wäre wohl den Ansprüchen des Protagonisten und seiner Kundschaft vor hundert Jahren als durchaus angemessen erschienen.
            Theodor Hilsdorf hat das Metier in den 1880er bei seinem Vater, der ein Atelier innehatte, sowie auf Reisen kennen gelernt und in zahlreichen Ateliers in Europa und in den USA praktiziert, bevor er etwa 1894 in das Unternehmen von Friedrich Müller eingetreten ist. Bald zählt er zu jenen Studioinhabern, die – wie Wilhelm Weimer in Darmstadt, Rudolf Dührkoop in Hamburg oder Hugo Erfurth in Dresden –, die gestalterische Elemente der piktorialistischen Amateure übernehmen und eine neue Form des repräsentativen Porträts kreieren. Die Kunden sollen nicht mehr in immer gleichen Haltungen innerhalb der immer gleichen Atelierrequisiten posieren, in denen sich die individuellen Merkmale verlieren. Vielmehr soll die individuelle Persönlichkeit hervortreten, indem der Fotograf in einem Gespräch engeren Kontakt sucht und die Kamera an das Modell heran rückt.

 

Theodor Hilsdorf Theodor Hilsdorf Theodor Hilsdorf Theodor Hilsdorf
Theodor Hilsdorf: Stefan George, o.J. (aus dem besprochenen Band,
S. 86)
Theodor Hilsdorf: Friedrich Rosner, um 1910 (aus dem besprochenen Band, S. 210) Theodor Hilsdorf: Hermann Ritter von Pfaff, um 1920, (aus dem besprochenen Band, S. 195) Theodor Hilsdorf: Eduard Theodor Ritter von Grützner, o.J., (aus dem besprochenen Band,
S. 150)

 

            Doch das Porträtwerk von Hilsdorf macht offenkundig, dass zwar neue gestalterische Elemente Eingang in die Bildproduktion gefunden haben, zugleich aber eine anders geartete Form stereotyper Darstellung die Folge war. Denn jene ‘gehobene' Schicht, der das besondere Interesse des Fotografen galt, brachte ihre Vorstellungen vom eigenen Bild, das sich nicht an fotografischen, wohl aber an malerischen Traditionen orientierte, in die Sitzungen ein und wusste sie auch durchzusetzen. Letztlich führten deren Posen der Vornehmheit und Würde, der Zurückhaltung und gespielten Gelassenheit zu einer Gleichförmigkeit, die sich von den althergebrachten Atelierprodukten kaum unterscheidet. Nun stehen die Porträtierten nicht mehr neben Säule und geschnitztem Mobiliar, vor gerafften Vorhängen und gemalten Dekorationen, sondern treten meist vor neutralem Hintergrund auf. Bevorzugt werden das Brustbild und die halbe Figur, en face oder im Profil, ein Buch oder eine Zigarre in der Hand, alles in dunklen Tönen gehalten. Frauen wie Männer sind auf Distanz gegangen, der Blick weist den Fotografen auf seinen Platz hinter der Kamera und den Betrachter von sich. Sie alle – könnte man sagen – sind sich genug und brauchen kein Publikum.
             Dass uns manche Häupter markant erscheinen, liegt vornehmlich an der Berühmtheit der Person, die man mit anderen Augen betrachtet als den unbekannten Zeitgenossen. Das biedere Aussehen eines Roda Roda passt einfach nicht zu dem Satirenschreiber, und Franz von Stuck ähnelt doch eher einem ostpreußischen Junker als einem Münchner Künstler. Andererseits lässt die herrische Miene von Stefan George ohne weiteres an die autoritären Züge seiner elitären Auffassungen denken. Diese Porträts wecken Aufmerksamkeit vielfach aufgrund der Vorstellungen, die sich mit dem Werk oder den Tätigkeiten der Porträtierten verbinden, und der Differenzen oder auch Entsprechungen gegenüber der äußeren Erscheinung. Sieht man sich die Wiedergaben von Unbekannten an, so fehlt das gedankliche Bild, an dem man sich orientieren könnte.
            Die vorliegende Ansammlung lässt deutlich erkennen, dass auch die kunstfotografisch inspirierten Porträts von Gemeinsamkeiten gezeichnet sind und einem Schema huldigen. Doch diese Erkenntnis mag bloß die Fotohistoriker interessieren und manche Kunsthistoriker erstaunen lassen. Ansonsten sollte der Band zum beliebtem Geschenk in jenen Münchner Kreisen avancieren, die sich an einer Galerie der örtlichen Berühmtheiten delektieren möchten – von den Brauereibesitzern Pschorr bis zum Komponisten Hans Pfitzner, dem Freikorpsführer Franz von Epp bis zum NS nahen Schriftsteller E. G. Kolbenheyer, von Adelgunde, Erzherzogin von Österreich-Este, bis zu Marie Therese, Königin von Bayern.

August 2007

Veröffentlicht auch in: Fotogeschichte , Heft 106, 27. Jg., 2007

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© Timm Starl 2007

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